antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[_borders/top-v.htm]
[_borders/left-v.htm]
Ein wichtiger Sammelband:
Die Benes-Dekrete

Von Karl Pfeifer


Barbara Coudenhove-Kalergi/Oliver Rathkolb (Hg.), Die Benes-Dekrete
Czernin Verlag, Wien 2002,
Euro 19,-

Bestellen?

Während der vergangenen Jahre hatte ich schon den Eindruck, dass die Wörter "Benes-Dekrete" (und Temelin) nicht nur von den Lippen unserer staatstragenden Politiker, aus dem Fernsehen und Radio, sondern auch aus dem Wasserhahn kommen. Ich war schon so weit und schaltete völlig ab, wenn diese Worte irgendwo erklangen. Und nun - reichlich spät - kommt ein Buch, das über dieses in Österreich Jahrzehnte vernachlässigte Thema aufklärt. In diesem wichtigen Sammelband werden - im Gegensatz zu den meisten Darstellungen in Österreich - Fakten aufgezeigt und es kommen beide Seiten zu Wort.

Oliver Rathkolb geht in seinem Beitrag "Verdrängung und Instrumentalisierung/ Die Vertreibung der Sudetendeutschen und ihre verspätete Rezeption in Österreich" auf das österreichische Spezifikum ein. Die Opfer-Täter Umkehr und/oder die Gleichsetzung von Opfern und Tätern wird in Österreich nicht nur von der FPÖ betrieben, sondern ist auch Teil des Regierungsprogramms der schwarz-blauen Regierung: Im Kapitel "Starke Demokratie" lautet Punkt "12. Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Vertriebene. Die Bundesregierung wird um sachgerechte Lösungen in den Fragen aller im Zuge des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit gezwungenen Personen, der österreichischen Kriegsgefangenen sowie der in der Folge der Benesch (sic! Benes)-Dekrete und Avnoj Bestimmungen nach Österreich vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung bemüht sein."

Bundeskanzler Schüssel "unterstrich im April 2002 die Forderung nach Aufhebung der Benes-Dekrete, "riet" aber auch zu einem freiwilligen "Entschädigungsfonds" ähnlich wie bei der Zwangsarbeiterlösung in Österreich im Jahr 2000. Unbemerkt von den sonst strengen Budgeteinsparungen wurde überdies die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die inzwischen wesentlich radikaler als deren deutsche Schwesternorganisation argumentierte, durch die Finanzierung einer Vertriebenenstiftung deutlich gestärkt. Auf Initiative der FPÖ wurden ihr von den österreichischen Bundesländern finanzielle Mittel in der Höhe von 3,3 Millionen Euro (auf Betreiben des Kärntner FPÖ-Landeshauptmannes Jörg Haider) und vom Bund 4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt."

Dieser Beitrag scheint mir der wichtigste in diesem Buch zu sein, weil er genau aufzeigt, was in Österreich getan und unterlassen wurde. Es wäre vorteilhaft gewesen ein Kapitel über die Sudetendeutsche Landsmannschaft zu bringen. Wer sich dafür interessiert, der sollte das ausgezeichnete Buch von Samuel Salzborn "Heimatrecht und Volkstumskampf/Außenpolitische Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische Umsetzung", Offizin Verlag Hannover, 2001, ISBN 3-930345-28-5 lesen in dem festgehalten wird, "dass das reklamierte "Sudetenland" zu keinem Zeitpunkt deutsch war, außer in den fast sieben Jahren der faktischen Annexion (die einerseits of dem völkerrechtlich äußerst umstrittenen Münchner Abkommen von 1938, andererseits auf der Zerschlagung der so genannten Rest-Tschechei 1939 beruhte) während des Nationalsozialismus."

Barbara Coudenhove-Kalergi betont, dass "es über ein und dieselbe Sache mindestens zwei verschiedene Narrative gibt". Nur können diese Narrativen nicht die Arbeit von Historikern ersetzen, die feststellen müssen, wie sich die Geschichte wirklich abgespielt hat. Die kommentarlose und kritiklose Wiedergabe einzelner Narrative wirkt kontraproduktiv, zum Beispiel das "Prager Tagebuch" von Elisabeth Marnegg, die Tochter des letzten österreichischen Botschafters der Ersten Republik. Sie schildert eindrucksvoll, wie ihr Vater mit einigen Österreichern, die später Diplomaten der Zweiten Republik werden sollten sowie anderen Gesinnungsgenossen besprach, "was zu geschehen habe, wenn der Nazi-Spuk aufhörte und Österreich neu erstünde. Die österreichische Fahne stand, versteckt und zusammengerollt, hinter dem Bücherkasten."

Doch dann schildert sie die Verfolgung der deutschsprachigen Bürger nach der Befreiung Prags und behauptet: "Es stand Todesstrafe darauf, Menschen deutscher Muttersprache zu verstecken". Spätestens hier hätte eine Fußnote die Leser aufklären müssen, ob diese Behauptung stimmt oder nicht. Weiters schreibt sie, "im Prager Stadion wurden viele lebendig verbrannt, nachdem man sie mit Benzin übergoss". Auch das hätte eine Fußnote verdient, die uns aufklärt, was wirklich geschehen ist. Hier darf man keine zwei Narrativen zulassen. Entweder gab es diese Todesstrafe oder nicht, entweder wurden Menschen lebendig verbrannt oder nicht.

Der deutsche Historiker Volker Zimmermann beschreibt das sudetendeutsch-tschechische Verhältnis in der Ersten tschechoslowakischen Republik und im NS-Staat, der tschechische Historiker Vaclav Kural beschränkt sich auf das Verhältnis Deutsche und Tschechen im "Protektorat". Sowohl Kural wie auch Vaclav Havel weisen darauf hin, dass die deutsche Besatzungspolitk zum Ziel hatte, die Tschechen in Ruhe für das Reich arbeiten zu lassen. Die meisten leisteten keinen Widerstand und entdeckten diesen erst in den Tagen der Befreiung. Hier dürfte auch die psychologische Wurzel der Ausschreitungen gegen die deutschsprachigen Bürger liegen.

Der in New York lehrende Historiker István Deák beleuchtet ein Kapitel, das in Österreich weniger bekannt ist, nämlich die Vertreibung der Ungarn aus der Slowakei. Auch hier kann das gleiche Phänomen der Kompensation festgestellt werden. Der slowakische Staat ging genauso wie Ungarn (hier allerdings erst unter deutscher Besetzung) mit seinen jüdischen Bürgern um, deren überwiegende Mehrheit zur physischen Vernichtung freigegeben wurde. Nach dem Krieg wurden aber lediglich die Ungarn kollektiv als "Faschisten" gebrandmarkt. Die Ironie der Geschichte, unter den Gründern der tschechoslowakischen KP und überhaupt unter den Linken der Tschechoslowakei waren die Ungarn überproportional vertreten.

Anne Bazin-Begley weist in ihrem Beitrag über die "Vertreibung der Sudetendeutschen als politisches Thema in der EU" darauf hin, dass die "Sudetendeutsche Landsmannschaft besonders was das Heimat- und Rückkehrrecht betrifft Parallelen zur palästinensischen Frage in den siebziger Jahren" herstellt, "die in der UNO ausgiebig diskutiert worden war." Tatsache ist, dass im von Österreich hoch subventionierten Wiener "Haus der Heimat" eine gemeinsame Veranstaltung von rechtsextremen Österreichern und Palästinensern unter dem Titel "Von Benes zu Sharon" stattgefunden hat. Solche Veranstaltungen tragen nicht dazu bei, die Bedingungen eines Dialogs zu schaffen, der allein im Sinne der Europäische Gemeinschaft wäre. Versuche die Ereignisse von 1945 im Namen einer Union, die zu dieser Zeit noch nicht existierte zu beurteilen, können nur scheitern.

Wer sich allerdings mit der FPÖ in eine Koalition begibt, wird trotz aller gegenteiligen beim Fenster hinausgesprochenen Erklärungen, auch in dieser Frage in Geiselhaft genommen.

Das vorliegende Buch füllt eine Lücke, denn das Thema wurde bislang den rechtsextremen und nazoiden Kräften in Österreich überlassen.

hagalil.com 09-12-02

[_borders/right-v.htm]
[_borders/bottom-v.htm]


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved