Jenseits von
allen Ufern
In Ungarn
erhalten völkische Propagandisten rasanten Zulauf
Von Karl Pfeifer, Wien
Erschienen in
Jungle World, 10.10.2001
Von Sanktionen der EU gegen
Österreich ist schon lange nicht mehr die Rede, und darüber ist
vermutlich niemand so erleichtert wie der ungarische Ministerpräsident
Victor Orbán. Schließlich hofft er, nach den Wahlen im kommenden
Frühjahr, wenn alle Stricke reißen, die von István Csurka angeführte,
offen antisemitische und ausländerfeindliche Partei der ungarischen
Gerechtigkeit und des Lebens (Miép) in seine rechte Koalition aufnehmen
zu können, ohne dass Sanktionen der EU folgen.
Orbáns christdemokratische
Regierungspartei Fidesz vertritt den so genannten christlichen
Mittelstand, der allerdings wenig mit der bürgerlichen Schicht zu tun
hat, die vor dem Zweiten Weltkrieg existierte. Tatsächlich ist seit den
sechziger Jahren eine mehrheitlich ungebildete, apolitische Schicht von
Kleinbürgern entstanden, die vom realsozialistischen System profitierte.
Sie soll nun die breite Basis der Rechten bilden. Da viele Kleinbürger
zu den Verlierern der Nachwendezeit gehören, wird ihnen von den Rechten
eingeredet, dass der Realsozialismus ein Werk der Juden gewesen sei, die
auch für alle anderen Probleme, wie die weit verbreitete Korruption,
verantwortlich gemacht werden.
Während Haider seine
antisemitischen Ausfälle als Faschingsscherze verpackt, hetzen Csurka
und seine Kameraden mehr denn je gegen Juden, Roma, Homosexuelle,
Sozialisten und Liberale. Und noch bösartiger als vor der Wende
agitieren einige gewendete Miép-Mitglieder gegen Israel.
Zum ersten Mal seit dem Ende des
Nationalsozialismus ist mit der Miép eine antisemitische, roma- und
fremdenfeindliche Partei im ungarischen Parlament vertreten. 1998
erhielt sie 14 der 386 Sitze und hofft nun, bei den nächsten Wahlen
mithilfe rechtsextremer Propaganda ihren Stimmenanteil wesentlich
vergrößern zu können.
Die Regierung unter
Ministerpräsident Orbán toleriert nicht nur die offen antisemitische
Agitation, sondern ermöglichte es der Miép, sich in den
öffentlich-rechtlichen Medien festzusetzen. Schon heute können dort
klerikal gefärbte Programme ausgestrahlt werden, in denen verkündet
wird, dass das »nationale Christentum« in Todesgefahr gerät, wenn die
Rechten die Wahlen im nächsten Jahr nicht gewinnen.
Ein Beispiel dafür ist das
Sonntag-Journal des öffentlich-rechtlichen Radios, das schon öfters von
der Medienaufsicht wegen minderheitenfeindlicher Sendungen gerügt wurde.
Der stellvertretende Vorsitzende
und Wahlmanager der Fidesz, László Kövér, mag da nicht zurückstehen. Er
bezeichnet Sozialisten und Freie Demokraten als »geistig
Vaterlandslose«, für die Ungarn lediglich ein »Aufenthaltsort« sei.
»Diese Menschenrasse«, so Kövér, verbreitet Lügen »als Exportware in der
Welt, wissend, dass sie damit dem Land und der Regierung schadet«. Die
Argumentation des Funktionärs der Fidesz unterscheidet sich nur in
Nuancen von den Ausfällen Csurkas und seiner Parteifreunde, denen Kövér
bescheinigt, keine Rassisten zu sein.
Tatsächlich sind rassistische
Ausfälle bei Parteimitgliedern der Miép an der Tagesordnung. Juden
können keine Ungarn sein, denn »ihre Nase rinnt, ihr Ohr befindet sich
tiefer als ihr Nasenflügel und sie sind krummbeinig«, meint zum Beispiel
der Parlamentskandidat und Journalist Tibor Franka.
Und Lóránt Hegedüs, ein
stellvertretender Vorsitzender der Miép, schreibt im Parteiblatt
ébresztö (Erwache) über Geschichte und Juden: »Vom Ufer des Jordans
kommen sie wieder an das Ufer der Donau, um noch einmal den Ungarn einen
Fußtritt zu geben. Deswegen höre Ungar die einzige zum Leben führende
Botschaft im 1 000. Jahr des christlichen ungarischen Staates. Wirf sie
hinaus! Denn wenn du es nicht tust, dann werden sie es mit dir tun.«
Vor zwei Jahren wollten die BBC,
Radio France und die Deutsche Welle einen gemeinsamen Radiosender in
Budapest gründen, der jedoch nicht genehmigt wurde. Stattdessen erhielt
das der Miép nahe stehende Privatradio Pannon eine Frequenz. Feró Nagy,
ein Programmleiter dieses Radios und Kandidat der Miép in den kommenden
Wahlen, wirbt dort mit deutlichen Worten für eine rechte Koalition: »Man
muss eine solche Regierung wählen, die sagt, dass sie den Pranger
errichtet und die Sozialisten an den Pranger stellt und das Volk kann
sie - wenn es will - steinigen.«
Einen Tag nach den
Terroranschlägen in den USA erklärte Csurka: »Die unterdrückten Völker
der Welt konnten nicht die Erniedrigung durch die Globalisierung, die
Ausbeutung und den in Palästina planmäßig durchgeführten Völkermord ohne
einen Antwortschlag erdulden.« Ebenfalls im September veröffentlichte
Csurka eine Liste aller jüdischen Organisationen mit den genauen
Adressen, vielleicht um Terroristen die Arbeit in Ungarn zu erleichtern.
Csurka schreckt auch nicht davor
zurück, Zoltán Bosnyák, einen wegen seiner Beteiligung am Massenmord an
den ungarischen Juden hingerichteten ungarischen Nazi, als Märtyrer
darzustellen. Nach seiner Ansicht ist Bosnyák nur wegen der
Veröffentlichung einer Statistik über den hohen Prozentsatz von Juden
unter den ungarischen Millionären Anfang der fünfziger Jahre zum Tode
verurteilt worden.
Bosnyák hatte 1944 während der
deutschen Besetzung in der Abteilung des ungarischen Innenministeriums
gearbeitet, die dafür sorgte, dass die ungarische Gendarmerie mehrere
hunderttausend Juden deportierte. Außerdem war er Direktor des
»Instituts zur Erforschung der Judenfrage« sowie Herausgeber und
Chefredakteur des dem Stürmer ähnlichen Blattes Harc (Kampf).
Ministerpräsident Victor Orbán
und seine Regierung schweigen zu den Ausfällen der Miép beharrlich. Und
obwohl sie es leugnen, bereitet Fidesz damit den Boden für eine neue
völkische Front. Die Partei rechnet mit der Unterstützung ihrer
europäischen Schwesterparteien, vor allem der CSU und der ÖVP.
hagalil.com / 18-10-2001 |