antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 

Staatliches Aussteigerprogramm für Rechte

ABM für Neonazis

Das staatliche Aussteigerprogramm für rechte Kader nützt vor allem den Landesämtern für Verfassungsschutz. Neue Quellen könnten den Informationsfluss erweitern - und den Rechten zusätzliche Einnahmen bescheren.

von Heike Kleffner

aus: Jungle World Nr.10 vom 28.02.2001

Bitte rechts aussteigen: Geld, Job und Hilfe bei der Wohnungssuche - das ist die neue Strategie von Innenminister Schily im Kampf gegen Rechts. Unklar ist nur, welche der neuen Antifa-Behörden der Republik - das Bundesamt für Verfassungs- schutz oder das Bundeskriminalamt - das staatliche Aussteigerprogramm für Neonazi-Kader umsetzen soll. Wenn es gilt, die rechten Söhne in den Schoß der Gesellschaft zurückzuholen, sind lokale Bürgerinitiativen aber auf jeden Fall dabei.
Der Bundestagspräsident dürfte seine helle Freude am Vorschlag des Kollegen gehabt haben. Staatliche Investitionen von 100 000 Mark und mehr für ausstiegs- willige Neonazi-Kader kündigte Innenminister Otto Schily letzte Woche an. Einen Monat zuvor hatte Wolfgang Thierse angedeutet, dass heutige Nazis, wenn sie sich bessern, in ferner Zukunft womöglich Minister werden könnten. »Wir wünschen uns doch hoffentlich, dass Leute, die jetzt braune Ideologien im Kopf haben, die sich durch Rattenfänger haben einfangen lassen - dass die sich da wieder von befreien.«

Doch dass sein Parteifreund Schily den Wunschzettel des Bundestagspräsidenten derart schnell in exekutive Taten umsetzen würde, hätte sich Thierse wohl nicht träumen lassen. Neben der stattlichen finanziellen Unterstützung sieht das vom Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) erarbeitete Aussteigerprogramm Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche ebenso vor wie ein umfassendes Zeugenschutz- programm. »Wenn jemand aussteigen will, muss es dem Staat jede Mühe wert sein«, erklärt Schily, der sein Konzept bis zur nächsten Innenministerkonferenz (IMK) im Mai durch konkrete polizeiliche Maßnahmen ergänzen will. Oberstes Ziel des Programms: Das »Herausbrechen von Führungspersonen« soll erreicht - und die Szene dadurch verunsichert werden. Der harte Kern der Neonazis sieht in dem Angebot allerdings eher eine gute Möglichkeit, »die Bewegung von unsicheren Kandidaten zu reinigen«.

Schily baut vor allem auf die Erfahrungen in Baden-Württemberg, wo eine Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechts (BIG) beim Landeskriminalamt (LKA) gerade dabei ist, bereits bestehende Kontakte in die rechte Szene aus- zubauen. Zunächst einmal soll die zehn- bis 15köpfige Gruppe aus Polizeibeamten, Pädagogen und Psychologen aber in der Materie geschult werden. Runenkunde und NS-Geschichte sowie Grundkenntnisse über indizierte Musik stehen nach Auskunft der Behörden auf dem Lehrplan.

Zu den ersten Aktivitäten der BIG zählte die so genannte Gefährdungsansprache. 324 polizeibekannte Rechte und Skinheads erhielten in den letzten Wochen grünen Hausbesuch, 252 von ihnen, so das LKA, hätten Gesprächsbereitschaft signalisiert, 84 wollten sich angeblich gleich aus der Szene lösen. Vor allem größere Städte wie Karlsruhe und Ludwigsburg zählen zu den Hochburgen der Rechten, aber auch in ländlichen Regionen wie dem Rems-Murr-Kreis haben sich die Neonazis festgesetzt. Dass über das Aussteigerprojekt neue Informanten gewonnen werden sollen, wird in Stuttgart vehement bestritten, allenfalls abschöpfen möchte man die vermeintlichen Aussteiger aus dem Neonazi-Milieu.

In Thüringen hingegen, wo das Landesamt für Verfassungsschutz den Neonazi Thomas Dienel mehrere Jahre lang als V-Mann führte (Jungle World, 25/00), ist man sich noch nicht sicher, ob der vom Bund verkündete Strategiewechsel umgesetzt werden soll. Innenminister Christian Köckert jedenfalls sah nach der Bekanntgabe der Pläne Schilys »keinen vorrangigen Handlungsbedarf«. Das verwundert nicht, hatte sein Chef, Ministerpräsident Bernhard Vogel, doch erst vor wenigen Wochen verharmlosend erklärt, in Thüringen gebe es so wenige rechtsradikale Wähler wie in keinem anderen Bundesland. Allerdings könnte sein VS-Chef den Ministerpräsidenten bewegen, sich dem Schily-Kurs anzupassen. Thomas Sippel, erst seit einem halben Jahr im Amt, verkündete vorige Woche, den Positionen des Innenministers aufgeschlossen gegenüberzustehen. »Die Szene könnte dadurch stark verunsichert werden«, so Sippel.

Dezent zurück hielten sich derweil die Verfassungsschützer und Kriminologen aus zwei weiteren Bundesländern, die bereits einschlägige Erfahrungen in der Kategorie »ABM für Nazikader« gesammelt haben: Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Im Nordosten hatte der Neonazi Matthias Grube, der vom Schweriner VS über zwei Jahre lang als V-Mann geführt wurde, seine Informantentätigkeit offenbar als Freibrief für Straftaten verstanden. Gemeinsam mit seinen Kameraden verübte er beispielsweise 1999 einen Brandanschlag auf eine von Migranten betriebene Pizzeria in Grevesmühlen. Darüber hinaus sollen ihm seine Kontaktmänner im VS Namen und Daten linker Jugendlicher vorgelegt haben.

Und auch der Brandenburger Verfassungsschutz ist geübt, was die Kooperation mit Neonazis angeht. Sechs Jahre lang - von 1994 bis zum Sommer 2000 - sponserte der Dienst den früheren Kader der Nationalen Front (NF), Carsten Sczcepanski. Das Pikante an dem Fall: Sczcepanski war 1994 während seiner Untersuchungshaft angeworben worden, auf dieselbe Weise also, wie die niedersächsische Landes- regierung auf rechtsextreme Straftäter in Gefängnissen zugehen will. Dabei sollen Hafterleichterungen und Informationshonorare in Höhe von monatlich rund 1 000 Mark herausspringen.

Niedersachsens Justizminister Christian Pfeiffer war kurz nach Schilys Ankündigung mit einem eigenen Projektvorschlag vorgeprescht, zwei Millionen Mark will die Regierung in Hannover dafür zur Verfügung stellen. Demnach sollen Straftäter aus der rechten Szene direkt in den Gefängnissen angesprochen werden. Erste Prüfungen hätten ergeben, dass etwa 130 Personen - rund ein Fünftel aller rechten Straftäter in den Haftanstalten des Landes - für das Programm in Frage kämen. Neben den Angeboten, die auch Schily vorsieht, will Pfeiffer bei der lokalen Wirtschaft nachfragen, ob sie den Aussteigern Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Zusätzlich im Angebot: eine Telefonhotline für all diejenigen, die noch nicht ins Visier der Strafverfolger geraten sind.

Pfeiffer sei wohl über die Zustände in den Haftanstalten nicht informiert, kritisierte Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv Berlin die niedersächsischen Pläne. Denn längst hätten Neonazis Kameradschaftsstrukturen in west- und ostdeutschen Gefängnissen aufgebaut, die den sozialen Zusammenhalt hinter Gittern stärken. Über die Hilfsgemeinschaft nationaler Gefangener und ihrer Angehöriger (HNG) würden Briefkontakte nach außen aufrechterhalten, finanzielle Zuwendungen und Anwälte organisiert.

Darüber hinaus, so Jentsch, hätten die HNG und die Knastkameradschaften eine klare Kontrollfunktion. Jüngstes Beispiel: Nach seiner Haftentlassung vermittelten sächsische HNG-Genossen dem mehrfach verurteilten Rohrbombenbauer Nick Greger Kontakte zur Berliner NPD. NPD-Führungskader Uwe Brunke wiederum reichte Gregor dann an die Nationalrevolutionären Zellen um Carsten Sczcepanski weiter. Im Übrigen, kritisiert Jentsch, tauge der Vorschlag Pfeiffers schon allein deshalb nichts, weil es in der rechten Szene durchaus üblich sei, während der Haftzeit mit Ermittlern und Verfassungsschützern über Gesinnungsgenossen und Strukturen zu plaudern. Nur in den wenigsten Fällen habe dies zu einem Ausschluss aus der Szene geführt.

Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke beanstandete die Pläne Schilys in der vorigen Woche. So habe eine Rückfrage beim Innenministerium ergeben, dass das Programm keineswegs fertig gestellt sei. Unklar sei ferner, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt (BKA) federführend bei der Ausführung sein werde und woher das Geld komme. Den Verfassungsschützern jedenfalls traut Jelpke nicht über den Weg, als »hochgradig disqualifiziert« bezeichnet sie den Geheimdienst. Das Programm werde auf die Resozialisierung alter und die Anwerbung neuer Informanten unter Ausschluss der Öffentlichkeit hinauslaufen. 

klick-nach-rechts.de

 


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved