Zwischen Wahrheitsfindung und Amnesie:
Das 'Haus des Terrors' in Budapest
Von
Magdalena Marsovszky
Das neue-alte Haus der Dunkelheit war am Vorabend des
zweiten Gedenktages der kommunistischen Opfer, dem 24. Februar 2002,
Licht überflutet. „Mit der Eröffnung /.../ haben wir die Vergangenheit
hinter Gitter gesteckt“ und „die Tür hinter dem hochnäsigen, kränkelnden
20sten Jahrhundert gerade rechtzeitig zugeschlagen, noch bevor sie hätte
zurückkehren können", rief der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán
auf einer Holztribüne vor dem Gebäude der berühmt berüchtigten „Andrássy
út 60“ mehreren zehntausend Menschen zu, die mit Nationalfahnen und
Transparenten erschienen waren.
Die Veranstaltung glich einer Großdemonstration, was nicht verwundert,
wenn man weiß, dass sie Mitten in den Wahlkampf fiel.
Zu dieser Kundgebung gesellten sich im Laufe des Abends
auch viele Anhänger der rechtsradikalen Partei für Ungarische
Gerechtigkeit und Leben (MIÉP). Sie kamen gerade von einer
Demonstration, die MIÉP anlässlich des Eröffnungsgedenkens vor dem
Parteigebäude der Oppositionspartei der Sozialisten, vor dem „anderen,
wahren Haus des Terrors“
abgehalten hatte. Dort wurde vor den „Andersartigen“ gewarnt, die
hinsichtlich ihrer Abstammung keine Ungarn seien, fremde Mächte, das
Geld und die Medien besäßen, „in den vierundzwanzig Stunden des Tages“
Lügen verbreiteten und dem ungarischen Volk „eine Kultur aufzwingen“
wollten, die den Ungarn fremd sei.
Die Angst war groß, dass der permanente Kulturkampf,
durch den die ungarische Gesellschaft seit der Wende geprägt wird,
diesmal in größere Gewalt umschlagen könnte.
Der Hass hat bis heute ohnehin großen Schaden angerichtet: Mit den
konservativen Rechten auf der einen sowie den sozialistischen und
liberalen Linken auf der anderen Seite ist Ungarn in den letzten Jahren
kulturell und gesellschaftspsychologisch zum geteilten Land geworden.
Der Grund: In den letzten zwölf Jahren greift die postkommunistische,
neue Rechte immer wieder auf die zwanziger-dreißiger Jahre als
Hauptquelle ihrer Wertvorstellungen zurück, was den Aufschwung von
damals zum Wesen des Konservatismus‘ gehörenden volksnationalen Ideen
begünstigt. Ihr Kampf um ein christliches Ungartum und um eine
vermeintlich organisch-ungarische Kultur fällt mit dem Kampf gegen die
Juden (oder gegen die, die dafür gehalten werden) und deren
“Sympathisanten” zusammen, weil sich in der politischen Linken heute –
wie damals - traditionell eher die Anhänger westlicher Demokratien und
kosmopolitischen Liberalismus‘ versammeln; Prinzipien also, die schon in
der Monarchie jüdischen Vorstellungen entsprachen.
Dem Hass erfüllten ungarischen Kulturkampf liegt also ein massiver
Antisemitismus zugrunde, der jedesmal wächst, wenn eine konservative
Koalition das Land regiert. Wenn der Führer der Rechtsradikalen den
Sozialisten vorwirft, die „Geldoligarchie“ zu bedienen,
und wenn Premier Orbán vor einer künftigen Regierung „des Groß- und
Finanzkapitals“ warnt,
dann schwingt darin immer auch der weit verbreitete und in Ungarn leicht
decodierbare Antisemitismus mit.
Der Kulturkampf wird zudem dadurch verschärft, dass den
heutigen Sozialisten und Liberalen eine Kollaboration mit den früheren
realsozialistischen Machthabern unterstellt wird. Man wirft ihnen vor,
den Bolschewismus erneuern zu wollen.
Obwohl historisch nicht haltbar, stellt man somit eine gradlinige
Kontinuität zwischen dem sog. GULAG-Kommunismus und der heutigen
Sozialistischen Partei her.
So sagte am 2001 eingeführten ersten „Gedenktag der
kommunistischen Opfer“ die den Rechtsradikalen nahe stehende und wegen
ihrer Teilnahme an der Revolution 1956 zuerst zu Tode, dann
lebenslänglich verurteilte Maria Wittner, Gastrednerin im ungarischen
Parlament:
„Ich rufe die Opfer - die Lebenden und die Toten –
auf, dass wir gemeinsam unsere in sozialistischem Gewand erscheinenden
Henker anklagen. /.../ Ich klage sie an, weil sie das Land ausraubten
und weil sie mit Hilfe der Arbeit des fleißigen ungarischen Volkes -
ihre Prinzipien über Bord werfend - jetzt zu roten Kapitalisten wurden.
/.../ Im Namen der Opfer stelle ich deshalb fest: Nie werden sie fähig
sein, als ungarische Politiker im Interesse und zum Wohle der Nation zu
handeln. An dieser Stelle frage ich sie: Nach was für einer Moral sitzen
sie auch heute noch im Parlament und schaffen Gesetze für eine durch sie
zugrunde gerichtete, ausgeraubte und erniedrigte Nation? Im Namen der
Lehren der Heiligen Ungarischen Krone und im Namen der ungarischen
Nation erkläre ich sie zu moralischen Leichen“.
Ein anderer Festredner, der pharmazeutische Techniker,
László Balázs-Piri sprach über die ehemaligen Mitglieder der
realsozialistischen Jugendorganisation KISZ,
die „als Erben ihrer Meister“ die heutigen „Schlüsselpositionen
antraten“ und machte darauf aufmerksam, dass diese „Menschen mit der
besonderen Physiognomie die Bazillenträger der Diktatur“ seien und mit
neuen Losungen nach neuen Verbündeten suchten.
Der Vizepräsident des ‚Komitees für Historische Gerechtigkeit’ ist einer
der Ideenschöpfer des Terrormuseums
und Präsident des Aufsichtskuratoriums der ‚Stiftung für die Erforschung
der Geschichte und der Gesellschaft Mittel- und Osteuropas’, die das
‚Haus des Terrors’ unterhält.
Die ‘Stiftung für die Erforschung der Geschichte und der
Gesellschaft Mittel- und Osteuropas’ wurde bald nach dem
Regierungswechsel 1998 von der Orbán-Regierung sozusagen als
‚Gegeneinrichtung’ zu dem renommierten ‘Institut für die Geschichte der
ungarischen Revolution 1956’ und der ‘Stiftung für Politikgeschichte’
gegründet.
Diese Forschungseinrichtungen galten wegen der engen Zusammenarbeit
quasi als Werkstätte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften,
trotzdem wurden ihnen die Mittel entzogen bzw. drastisch gekürzt
und der Zuschuss – ohne die Akademie zu konsultieren - der neuen Stiftung
umgeleitet.
Sie unterhält heute drei Einrichtungen: Das „Institut des 20sten
Jahrhunderts“, das „Institut des 21sten Jahrhunderts“ und das „Museum
Haus des Terrors“.
Die Direktorin vom ‚Haus des Terrors’, die Historikerin Dr. Maria
Schmidt, leitet nicht nur auch die beiden anderen Institute der
Stiftung, sondern ist gleichzeitig Mitglied im eigenen
Aufsichtskuratorium, Dozentin an der
Péter-Pázmány-Katholischen-Universität und war bis zur Wahlniederlage
der Orbán-Regierung Ende April 2002 erste Beraterin des Premiers.
Die genannten Forschungswerkstätten der Akademie waren ihr schon lange
ein Dorn im Auge gewesen, denn sie hätten „sowohl im kulturellen Bereich
als auch im geistigen Leben die Konservierung der Verhältnisse der Zeit
vor 1990 angestrebt“.
Die undifferenzierte Diabolisierung des linken
Parteienspektrums, die in den zitierten Reden und in der Argumentation
Maria Schmidts deutlich wird, geht in Ungarn mit einem Antisemitismus
einher, der in den letzten vier Jahren mit Hilfe der Orbán-Regierung und
unterstützt von großen Teilen der katholischen und der protestantischen
Kirche besonders zunahm.
Rassistischem und antisemitischem Gedankengut eröffneten sich die
wichtigsten Kanäle und machten dieses nach und nach gesellschaftsfähig.
Das ging mit der Parallelisierung von Gulag und Auschwitz einher, die
zugleich zu einer Art moralischer Relativierung des Faschismus’,
zur Wiederaufnahme von Kriegsverbrecherprozessen
und zu einem intellektuellen Streit führte, dessen Höhepunkt ein Artikel
von Maria Schmidt bildete:
„Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht um das Judentum,
um den Völkermord. So leid es uns auch tut: Der Holocaust, die
Ausrottung oder Rettung des Judentums war ein nebensächlicher, sozusagen
marginaler Gesichtspunkt, der bei keinem der Gegner das Kriegsziel war.
/.../ Es muss auch festgehalten werden, dass die Alliierten
Nazi-Deutschland auf keinen Fall deshalb den Krieg erklärt hatten, um
die geplante völkermörderische Politik gegen die Juden zu verhindern.
Sie hatten weder vor, die Vertriebenen aufzunehmen, noch sie zu
schützen. Daher ist für sie nichts Außergewöhnliches, mit anderen Worten
Unikates, passiert. In unserem Jahrhundert /.../ ist ja eine ganze Reihe
von Massenmorden und Genoziden passiert, wobei diese von der Außenwelt
mit oder ohne Anteilnahme aber bewusst wahrgenommen wurden. Ebenso
wusste die Welt – jedenfalls die Interessierten oder die Betroffenen -,
was seit der bolschewistischen Revolution in dem die Neue Welt
verheißenden sozialistischen Russland, Sowjet-Russland bzw. in der
Sowjetunion passierte. Die kommunistischen Regime haben im Interesse der
Festigung ihrer Herrschaft die Massenmorde zur wirklichen
Regierungsmethode erhoben.“
Der Philosoph und Publizist Miklós Tamás Gáspár reagierte
einige Tage später:
„Schmidt ist keine unabhängige Forscherin, sondern
eine amtliche Person. Ihr Vortrag war nicht etwa auf der Sitzung einer
kompetenten, wissenschaftlichen Gesellschaft zu hören, sondern an der
nach einem rassistischen Politiker benannten „politischen Akademie“
einer in vieler Hinsicht rechtsextremen Partei – einer Regierungspartei!
Schmidt bemühte sich in ihrer bisherigen wissenschaftlichen,
publizistischen Tätigkeit für die Juden immer nachteilige Konsequenzen
abzuleiten: darin hatte sie teils Recht teils Unrecht, doch die Tendenz
ist unverkennbar. Zahlreiche Mitglieder im politischen Umfeld Schmidts
/.../ betreiben eine rechtsextreme propagandistische Tätigkeit, ohne
dass sie dafür von ihren Vorgesetzten gerügt würden. Dieser Kreis um den
Ministerpräsidenten herum rehabilitiert regelmäßig /.../ solche
Personen, die die Judengesetze eingeführt und unterstützt hatten und
Personen, die Initiatoren des mit Hitler zusammen geführten
Angriffskrieges waren (er tut dies parallel zu den Kampagnen der offen
rassistischen rechtsextremistischen Partei – heute ein halboffizieller
Verbündeter der Regierung), /.../ er setzt Neonazis in die sorgfältig
entjudeten Schlüsselpositionen der öffentlich-rechtlichen Medien,
erteilt der neofaschistischen Wochenzeitschrift – durch einen
Ministerialerlass – eine staatliche Apanage usw. /.../ Im
mitteleuropäischen Judentum sind nur noch die ungarischen Juden unter
uns, vor allem in Budapest – das sind die Nachkommen des überlebenden
Sechstels, die durch einen militärstrategischen Zufall am Leben blieben,
plus einige der Überlebenden. Im Gegensatz zu Deutschland, Österreich,
Polen und Rumänien hat der Antisemitismus hierzulande eine konkrete,
aktuelle, politische Bedeutung /.../. Es ist nicht zu leugnen, dass die
offiziellen Elemente des Regierungslagers ununterbrochen judenfeindliche
Zeichen aussenden. /.../ Nicht nur das vorläufig externe
Regierungsmitglied, Parteichef Csurka, sondern auch Beamte des
Kanzleramtes /.../ reden und handeln so wie Jörg Haider. Ihr Reden und
Handeln übertrifft jedoch nicht nur, was Jörg Haider sagt, sondern auch,
was Jörg Haider nur denkt.“
Der Eindruck einer gewollten Gleichsetzung zwischen dem
Nazi- und dem kommunistischen Regime empfängt auch den Besucher des
‚Haus des Terrors’. Dies scheint zunächst nahe liegend, wenn man weiß,
dass das 1880 nach den Plänen des Architekten Adolf Feszty als Wohnhaus
errichtete dreigeschossige Neorenaissance-Gebäude in beiden Epochen der
Macht diente: Zwischen 1937 und 1945 war es in der Hand der ungarischen
Faschisten,
der sog. Pfeilkreuzler, und von 1945 bis zur Revolution 1956 Gefängnis
und Folterstätte der ungarischen Staatssicherheit (AVO bzw. AVH). In der
breiten, schwarz gestrichenen „Granitklinge“ – wie sie in Ungarn genannt
wird
-, die als hauchdünn erscheinende Verlängerung des Dachsimses wie ein
Passepartout hinausragt, steht „TERROR“ in Spiegelschrift eingestanzt.
Sie soll mit der durchscheinenden Sonne auf dem Gehsteig vor dem Eingang
richtig erscheinen. Von unten, aus der Sicht in der Besucherschlange
erscheinen die umgekehrten „R“-s und „E“-s wie kyrillische Buchstaben,
weshalb die erste unumgängliche Assoziation im mit der russischen
Sprache durchaus vertrauten Land „russisch“ bzw. „die Russen“ sind. Auch
die ebenfalls eingestanzten gleich großen Machtsymbole: Pfeilkreuz und
fünfzackiger Stern suggerieren eine Gleichrangigkeit beider Systeme. Am
Eingang wird dann der Besucher durch je einen roten und schwarzen,
gleich großen und zueinander symmetrisch angeordneten stehenden
Granitblock empfangen, die zur Erinnerung an die Nazi und die
kommunistische Diktatur aufgestellt wurden.
Im Museum selbst verschiebt sich jedoch die
Gleichwertigkeit. Dort stehen zwei die Nazi-Zeit darstellenden Räumen
einundzwanzig die kommunistische Zeit darstellenden gegenüber. Das
„’Haus des Terrors’ ist somit das ‚Haus des kommunistischen Terrors’,
schreiben Kritiker.
Doch nicht nur die Zahl der Räume führt zu einer
Verschiebung der Proportionen, sondern auch die Konzeption. Die
Geschichte des Hauses wird exakt erst ab Oktober 1944, dem Putsch und
der Machtübernahme durch die Pfeilkreuzler gezeigt. Ohne Ausnahme
bemängeln seriöse ungarische Historiker die Hinweise auf den Prozess der
beiden vorausgegangenen Jahrzehnte unter dem christnationalen
Reichsverweser Horthy 1920-44, in dem die antisemitische und
faschistoide Atmosphäre die Verabschiedung der Judengesetze erst
ermöglichte und den Weg zur Herrschaft der Pfeilkreuzler in Ungarn
ebnete, ebenso wie schriftliche Dokumente zu den Massemorden und
Deportationen ungarischer Juden und Nicht-Juden im Frühsommer 1944.
Man braucht kein Historiker zu sein, um den Satz des ungarischen
Fremdenführers, Ungarn hätte nach der deutschen Besatzung „seine
jüdischen Bürger nicht länger Schutz bieten können, so dass die
Deportierungen begannen“, schlicht als falsch zu erkennen,
denn er lässt vermuten, dass ihnen zuvor ein Schutz gewährt worden wäre,
was jedoch nicht der Fall war.
Die Kritik wird von der Museumsleitung zurückgewiesen. Es stünde erstens
nicht genügend Material zur Verfügung, zweitens sei es Aufgabe des
späteren Holocaust Museums, diesen Fragen nachzugehen. Andere Meinungen
und Experten seien gar nicht hinzugezogen worden, sagt die andere Seite,
zudem sei die Idee des Holocaust Museums ein ganzes Jahrzehnt älter,
trotzdem darbe die zu diesem Zweck ausgewählte Synagoge noch immer vor
sich hin, obwohl sie im Millenniumsjahr hätte fertig gestellt werden
sollen.
Demgegenüber wurde das ‚Haus des Terrors’ trotz zum Teil noch immer
undurchsichtiger Eigentumsverhältisse
in einer Rekordzeit von nur anderthalb Jahren für umgerechnet mehr als 12
Millionen Euro verwirklicht.
Nach offizieller Aussage zeigt die Ausstellung die Zeit
bis Mitte der 1960er Jahre,
da nach der ungarischen Revolution 1956 das Gebäude verschiedene Firmen
in Besitz nahmen. Im Gegensatz zum Ausstellungsanfang gingen jedoch die
Kuratoren nach einer anderen Logik vor, als sie das Ende mit einem
fließenden Übergang bis 1990 ausdehnten: Der letzte Raum ‚Abschied’
zeigt den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn, so dass man den
Eindruck bekommt, der Terror hätte bis fast in die Gegenwart gedauert.
Verschwiegen werden jedoch reformkommunistische Bestrebungen und die
damals illegale demokratische Opposition, aus der der heutige Bund
Freier Demokraten erwuchs. Zudem werden verschiedene Ebenen miteinander
vermischt, so dass es nicht klar ist, ob es in der Ausstellung um den
kommunistischen Terror, um die Geschichte der kommunistischen Polizei,
der AVH/AVO, um die kommunistische Diktatur als politisches System oder
aber um die ungarische Geschichte nach 1945 geht. Die Kuratoren scheinen
„die ohne Zweifel zusammenhängenden aber dennoch verschiedenen
Interpretationsebenen bewusst miteinander vermischt zu haben“, um die
pauschale Aussage zu machen: „Kommunismus ist gleich Terror“.
Nach dem Versuch einer Gleichschaltung der Kultur im Namen des Ungartums
sehen manche im Phänomen ‚Haus des Terrors’ nun auch die Bestrebung der
Orbán-Regierung, einen neuen Geschichtskanon erstellen zu wollen,
der jedoch in der Vergangenheit selektiere und für eigene Antworten eine
ausschließliche Gültigkeit beanspruche. Dieser Eindruck wird durch die
Ausstattung der Ausstellung verstärkt, denn die einzelnen Abschnitte
wetteifern miteinander in der Effekthascherei. Die überall dröhnende
Musik der nebeneinander liegenden Räume vermischt sich, statt wie
beabsichtigt, die dramatische Kraft zu verstärken, während auf Monitoren
Filmdokumente und nachträgliche Erinnerungen von Betroffenen gezeigt
werden und die ungarischen Fremdenführer die laute Akustik zu
überschreien versuchen. Zu alledem werden die Besucher mit Hilfe des
martialisch anmutenden Wachpersonals immer weiter getrieben (nur
deutsche und englische Besucher bekommen Kopfhörer und können sich frei
bewegen). Zur eigenen Meinungsbildung bleiben einem weder Raum noch
Zeit, so dass es unmöglich wird, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.
Durch die Bestrebung der Kuratoren, die Aufmerksamkeit der Besucher mit
starken visuellen und akustischen Effekten ständig wach zu halten, wird
nur erreicht, dass vorgedachte, fertige und einfache Lösungen wie ‚von
Oben’ diktiert werden.
Die Philosophie der Ausstellung ist die Sicht des
kommunistischen Opfers (die der Nazi-Zeit bleiben ja zum größten Teil
ausgeklammert). Bestes Beispiel dafür ist der Gulag-Raum, der wie ein
Viehwagon konstruiert ist, in dem man durch die wie Fenster
hineinmontierten Flachmonitore immer wieder die vorbeiziehende
Landschaft sehen kann, als ob man selbst deportiert würde. Doch auch
hier fehlt der Hintergrund, die Vorgeschichte, so z.B., dass viele als
Kriegsgefangene genommen wurden, weil Ungarn an der Seite Deutschlands
am Krieg teilnahm. Die Terrorsysteme werden als eine „ausschließlich von
Außen kommende Gewalt“ dargestellt, wobei das erste – so suggeriert uns
die Ausstellung – harmlos im Verhältnis dazu war, was später unter den
Kommunisten folgte.
Den komplizierten Kontext, in den die Aussage der
Ausstellung eingebettet ist, verdeutlicht der Historiker László Varga
verbittert:
In der Ausstellung „geht es nicht um das Thema
‚Demokratie versus Diktatur’, da sie zu einem Teil der Wahlkampagne
wurde /und/ ihre Grundaussage falsch ist. /.../ Danach gibt es (die
echten) Ungarn, für die die geschichtliche Kontinuität am 15. Oktober
1944, mit der Herrschaft der Pfeilkreuzler unterbrochen worden sei und
erst 1990, genauer: erst 1998 wiederhergestellt werden konnte. Zum
anderen Lager gehörten die Nicht-Ungarn oder zumindest die heimatlosen
Schurken, die nicht die Kontinuität der Nation symbolisierten, sondern
geradezu ihre Diskontinuität, /.../ den Terror. /.../ Es geht in der
Ausstellung nicht um die Geschichte und um die Zeit der Diktaturen,
sondern um die heimatlosen Schurken unserer Zeit...“.
„Ich halte den Vergleich von Diktaturen verschiedenen Typs für
notwendig, /.../ ein Vergleich bedeutet jedoch nicht das Verwischen von
Tatsachen. Es ist /.../ das Wesen des antikommunistischen Kreuzzuges
unserer Tage, dass er nicht moralischen Prinzipien folgt /.../; in ihm
ist die Diktatur weniger der Feind der Demokratie, als vielmehr eine Art
Selbstrechtfertigung /.../ des Vasallenstaates /.../. Im Endeffekt seien
sogar die Diktaturen so etwas wie Stationen im Krieg zwischen Christen
und Juden; und da der Bolschewismus (der Marxismus sowieso) eine dem
Ungartum fremde, jüdische Kreation sei, /.../ sei deren heimische
Variante geradezu die jüdische Rache. /.../ Diese eklektische
Auffassung der Geschichte ist nur insofern koherent, dass wir Ungarn,
Christen (d.h. Nicht-Juden) /.../ gereinigt, ja von vorneherein ohne
Sünden seien. Alles, was in unserer Geschichte schlecht ist, hätten die
Türken, die Deutschen, die Russen und deren ungarische Vasallen
(Pfeilkreuzler und Juden) /.../ über uns gebracht. Die Pfeilkreuzler
seien also deutsche Kreaturen /.../, und der ungarische Bolschewismus
sei nichts anderes als die Mentalität des Arbeitslagers, also jüdische
Rache. /.../ Demnach sei moderne Geschichte nicht der Kampf zwischen der
Demokratie und den verschiedenen Diktaturen, sondern eine Kette der
Rache“.
Durch die Konzeption des ‚Haus des Terrors’ wird der
bitter nötige gesamtgesellschaftliche Konsens Ungarns wieder einmal
verhindert. Diese könnte nur durch eine ehrliche Begegnung mit der
eigenen Geschichte erfolgen, doch sie fehlt - bis auf vereinzelte
Ausnahmen, wie den Schriftsteller Péter Esterházy
- völlig. Das ‚Haus des Terrors’ hätte vor allem durch die Sozialistische
Partei gebaut werden müssen. Da sie es jedoch versäumte, „lieferte sie
die antikommunistische Diskussion den Rechtsradikalen aus“.
So wird aber die Konfrontation mit dem ungarischen Rechtsradikalismus
der Vergangenheit und der Gegenwart vermieden. Weil zudem die
Ausstellung keine Möglichkeit zu Selbstreflexionen und zu einer
differenzierten Betrachtung der Verhältnisse zwischen „Opfern und
Tätern“ zulässt, bestärkt sie vielmehr gerade diejenigen „wahren Ungarn“
in ihrer Haltung, die sich von den „vaterlandslosen Verrätern“ und
„Fremden in der eigenen Heimat“ unterdrückt fühlen und Aufrufe wie
„Ungarn erwache!“
starten.
Das Phänomen des ‚Haus des Terrors’ ist kein Einzelfall.
Nicht in Ungarn, und nicht in Europa. Besonders in den
postkommunistischen Ländern beherrschen unaufgearbeitete Ressentiments
die aktualpolitische Bühne, so dass sie im Falle der Benes-Dekrete jetzt
sogar drohen, die deutsche Politik zu spalten.
Trotzdem wurden sie bis jetzt von der EU zum größten Teil nicht richtig
wahrgenommen. Im Gegenteil: Ungarn wurden in den vier Jahren der
Orbán-Regierung immer wieder "beste Noten" für die Integration erteilt,
und auch die deutsche Berichterstattung war - bis auf wenige Ausnahmen -
unkritisch positiv, wobei dadurch der ungarische Nationalismus
verniedlicht und seine völkische Seite ausklammert wurde.
Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob es
nicht eher unverantwortlich statt tolerant ist, die Kultur und die
Kulturpolitik weiterhin aus den Themen der europäischen Integration
auszuklammern.
RÁNKI,
Vera, Magyarok – Zsidók – Nacionalizmus. A befogadás és a kirekesztés
politikája (übers.: Ungarn – Juden – Nationalismus. Die Politik der
Akzeptanz und der Ausgrenzung), Budapest, 1999, S. 94.
Vgl. z.B.
SÁGHY, Erna, ‚Református riadó. Harc az egyház belsö békéért’ (übers.:
Alarm bei den Reformierten. Kampf um den inneren Frieden der Kirche),
in: 168 Óra (168 Stunden/ liberales gesellschaftskritisches
Wochenblatt), 25. Oktober 2001, und: ‚Hívõ értelmiségiek levele egyházi
vezetõkhöz’ (übers.: Brief gläubiger Intellektueller an die Würdenträger
der Kirchen), in: Magyar Hírlap (Ungarisches Nachrichtenblatt/
Tageszeitung), 30. Oktober 2001.
Vgl. ‚A
Magyar Auschwitz Alapítvány észrevételei a Terror Házával kapcsolatban’
(übers.: Die Bemerkungen der Ungarischen Auschwitz Stiftung im
Zusammenhang mit dem Haus des Terrors), eine Meldung der Ungarischen
Nachrichtenagentur MTI, 11. Februar 2002.
Vgl.
MARSOVSZKY, Magdalena, ‚Aus der DNS der ungarischen Rasse resultiert
ihre Auserwählung’. Ein Beitrag zur kulturellen Identität im
postsozialistischen Ungarn, in: Kulturrisse, IG Kultur Österreich, Nr.
00/ 2000.
hagalil.com 07-06-02 |