Die katholische Kirche und der Holocaust:
Eine Untersuchung über Schuld und Sühne
Streit um Daniel
Jonah Goldhagens neuestes Buch
Pius XII., Papst von 1939 bis 1958, soll selig gesprochen
werden. Seit Jahren wird dieses Ansinnen vorangetrieben, das
ursprünglich festgesetzte Datum musste jedoch bereits verschoben werden:
Zu widersprüchlich sind die Aussagen über Pius' Verhalten während des
Holocaust.
Während die einen in ihm einen engagierten Helfer und sogar
Retter der Verfolgten sehen, halten die anderen ihn für einen
eingefleischten Antisemiten. Daniel Jonah Goldhagen nimmt die
Auseinandersetzungen um Pius XII. zum Anlass, die Haltung der gesamten
katholischen Kirche zur Zeit des Holocaust einer längst überfälligen,
kritischen Untersuchung zu unterziehen: Er zeigt, dass die Kirche und
der Papst weit tiefer in den Verfolgungsprozess verstrickt waren, als
man bisher angenommen hat.
Die Kirchenführer waren über die Verfolgung der
europäischen Juden genau informiert. Doch anstatt öffentlich dagegen
Stellung zu beziehen und zum Widerstand aufzurufen, unterstützten sie
die Verfolgung in vielerlei Hinsicht. Einige Kleriker beteiligten sich
sogar am Massenmord.
Ausgehend von der historischen Untersuchung, wendet sich
der Autor der zentralen Frage von Schuld und Sühne zu: Wie verhält sich
die katholische Kirche, die moralische Instanz schlechthin, zu ihrer
Verstrickung in den Holocaust? Goldhagen entwickelt Kriterien, anhand
deren sich die schuldhafte Beteiligung der Institution wie des Einzelnen
bewerten lassen. Er zeigt, dass die Kirche ihre Pflicht zur Sühne weder
anerkannt noch erfüllt hat, und umreißt die Maßnahmen, die die
katholische Kirche ergreifen müsste, um ihre Opfer moralisch zu
entschädigen und sich selbst als Religion der Liebe und Güte zu
rehabilitieren.
Einstweilen setzt die Kirche eher auf juristische Manöver.
Nach einer Klage des Erzbistums München erließ das
Landgericht München eine einstweilige
Verfügung gegen den weiteren Vertrieb des Buches.
Begründung der Klage war eine
fehlerhafte Bildunterschrift, auf
einem Foto sei entgegen dem Text nicht der frühere Münchner Kardinal
Michael Faulhaber zu sehen, teilte das Erzbistum mit.
Wie der Siedler Verlag mitteilte werde die
Bildunterschrift in der zweiten Auflage, die in der kommenden Woche in
Druck gehen soll, geändert. Die Erstauflage des Buches werde aber weiter
vertrieben, "die einstweilige Verfügung ist uns noch nicht zugestellt
worden", so eine Sprecherin des Berliner Verlags.
Goldhagen selbst kritisierte das Erzbistum
München wegen der Klage gegen sein neues Buch. Bei einer
Diskussionsrunde beim Südwestrundfunk in Mainz forderte er die
katholische Kirche dazu auf über den Inhalt des Buchs diskutieren und
nicht über kleinliche Einzelheiten. Dies seien Ablenkungsmanöver mit dem
Ziel das Buch zu torpedieren.
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Antisemitismus im Katholizismus:
Moral
und Geschichte
Hierzulande scheint es besonders
schwer zu sein, offen über moralische Fragen von Schuld und Sühne zu
sprechen. Das zeigen die jüngsten Reaktionen auf Daniel Jonah Goldhagens
Buch über die Verstrickung der katholischen Kirche in die Verbrechen des
Holocaust und die Problematik einer moralischen Wiedergutmachung.
hagalil.com
11-10-02 |