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siehe auch: thepianist-themovie.com

Zeugenschaft

Roman Polanski, Wladyslaw Szpilman, Marcel Reich-Ranicki, Paul Celan, Theodor W. Adorno und »Der Pianist«

Andreas Hahn / junge Welt vom 29.10.2002 / Feuilleton

Das Gedicht erinnert sich: »Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland.«.

Eine Sequenz aus »Der Pianist« dokumentiert: Ein SS-Offizier schreitet die an der Rampe zum Transport ins Vernichtungslager zusammengedrängten Menschen ab. Er wird ungeduldig, die Verladung dauert ihm zu lange, es werden noch zu viele Umstände gemacht. Er ruft willkürlich eine Reihe von Menschen auf, vorzutreten und sich auf den Boden zu legen. Dann zieht er seine Pistole aus dem Halfter, schreitet die Reihe noch einmal ab, schießt dabei jedem der liegenden Menschen umstandslos in den Hinterkopf und befiehlt seinen Soldaten, die Leichen wegzuräumen.

Das Tagwerk des Faschisten besteht aus Produktion und Abräumung von Leichenbergen, abends erholt er sich von dieser seiner Pflicht vielleicht mit der Musik der großen deutschen Meister. Von der Musik erfrischt, geht er die nächsten Leichenberge an, unter Umständen die gleiche Musik, von der Marcel Reich-Ranicki in seinem Text zu »Der Pianist« in der FAZ unter dem Titel »Polanskis Todesfuge« schreibt: »Man kann es mir glauben: Dort, im Warschauer Getto, waren Mozart und Beethoven noch schöner als sonst«. Es ist die gleiche Musik, und ist es nicht. Die Musik kann nicht entscheiden, ob sie vom Faschisten für welchen Zweck auch immer instrumentalisiert wird oder ein existentieller Trost seiner Opfer ist. So oder so kann sie nicht mehr ohne Entsetzen gehört werden.

Marcel Reich-Ranicki schreibt seinen Text vom Standpunkt der Zeugenschaft. Auch er ist ein Überlebender des Ghettos. Er kannte Wladyslaw Szpilman, dessen Memoiren die Vorlage für Polanskis (der wiederum ein Überlebender des Krakauer Ghettos ist) Film lieferten, persönlich, genauso, wie er wohl weit mehr als die meisten anderen den Realismus der filmischen Darstellung des Ghettos beurteilen kann. Die jeweilige Zeugenschaft gibt den Texten ihr unbestreitbares Gewicht.

Die dokumentierte Zeugenschaft ist vielleicht der einzige Weg, das Entsetzliche darstellbar zu machen, aber auch sie kommt um das Problem der Darstellungsweise nicht herum: Die Gefahr der Verharmlosung aus gewissermaßen technischen Gründen (eine absolut realistische Darstellung der Folter wäre fast so unerträglich wie die Folter selbst), genauso wie die Gefahr der Obszönität, »die Kunst über das Grausamste könnte das Grauen konsumierbar machen«.

Reich-Ranickis literarisches Beispiel ist Celans »Todesfuge«, die seinem Text den Titel gibt, nicht nur weil es ein kanonisches Gedicht ist, vielleicht das Berühmteste über die Vernichtungslager überhaupt, sondern weil es beunruhigend »gar zu schön« für seinen Gegenstand sein könnte; mithin eine heimliche, paradoxe Versöhnung implizieren würde. Das Gedicht weiß allerdings genau um die Verstrickung der Kultur in Folter und Mord, es hat bei all seinem enigmatischen Charakter einen genauen referentiellen Bezug: Menschen, die gezwungen werden, zum Ausheben ihrer Gräber Musik zu spielen, schöne Musik, möglicherweise die der deutschen Meister – »stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum tanz auf«. Und nebenbei markiert diese Zeile, daß selbst im Moment des Mordes die scheinbare Bedingung der Kultur, die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, aufrechterhalten wird. Genau diese Trennung ist für Adorno der Grund für die unrettbare Schuld der Kultur. Adorno verstand sein Urteil über das »Mißlingen der Kultur« nicht als »Provokation«, d. h. als indirekte Aufforderung zu einer irgendwann dann doch gelingenden Sublimierung des Schreckens, sondern als eine unheilbare Aporie: die Kultur ist barbarisch, weil unfähig, die Barbarei zu verhindern; die Verdammung der Kultur aber ist es ebenfalls. Die Schuldhaftigkeit der Kultur liegt weit tiefer als in ihrer jeweiligen Instrumentalisierung, sie ist bereits in der Leugnung der materiellen Bedingungen ihres Entstehens beschlossen. Eine berühmte Passage aus der »Negativen Dialektik«: »Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll. Indem sie sich restaurierte nach dem, was in ihrer Landschaft ohne Widerstand sich zutrug, ist sie gänzlich zu der Ideologie geworden, die sie potentiell war, seitdem sie, in Opposition zur materiellen Existenz, dieser das Licht einzuhauchen sich anmaßte, das die Trennung des Geistes von körperlicher Arbeit ihr vorenthielt. Wer für die Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer der Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als welche die Kultur sich enthüllte. Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel heraus; es rationalisiert einzig die eigene subjektive Unfähigkeit mit dem Stand der objektiven Wahrheit und entwürdigt dadurch diese abermals zur Lüge.«

Was bliebe, wäre vielleicht eine wirklich inkommensurable Kunst der äußersten Verzweiflung über das, »was der Gestank der Kadaver ausdrückt« (Adorno), ein Schluchzen im Müll, eine Intentionalität des Schmerzes, die im Trümmerfeld versinkt.

Reich-Ranickis Text hingegen versucht noch, denke ich, etwas von einer unversehrten Kultur zu retten. Es geht ihm letztlich um die Opposition von Kunst und Dokumentation. Polanskis Film gesteht er die – eigentlich unmögliche – Leistung einer echten Dokumentation zu, »eine überwältigende Genauigkeit«, die sich aber als Preis für ihre Strenge das Menschliche der Kunst, namentlich den Humor versagt. Ich glaube, daß Polanskis Film stellenweise einen entsetzlichen Humor hat, der sich mit dem »Gestank der Kadaver« konfrontiert. In einer Sequenz verhungert der sich in einer verlassenen Villa versteckende Szpilman fast vor einer Dose Gurken. Verzweifelt versucht er, sie zu öffnen. Plötzlich steht ein deutscher Offizier mit gezogener Waffe vor ihm – »Was suchen Sie hier?« fragt er. »Einen Dosenöffner«, antwortet Szpilman.

Ich glaube auch, daß dieser Film, der in seiner zweiten Hälfte fast ausnahmslos die sich unmerklich in den Wahnsinn verzerrende Perspektive eines so gut wie verhungerten und hilflos verzweifelten Mannes in Szene setzt, vom Realitätsverlust angesichts des Entsetzlichen handelt. Von einem mechanischen (imaginären) Klavierspielen, wenn nichts mehr übrig ist als eine Schuttwüste, die als modernes – und damit heilloses – Äquivalent der barocken Schädelstätte Werbeplakat und Trailer des Films ausmacht. Und ich glaube schließlich, daß das wahrhaft Bösartige dieses Films die Obszönität ist, zu der diese aus Leichen gebaute Allegorie wird, wenn sie neben eine handelsübliche Produktwerbung plakatiert wird, um für ihre Heillosigkeit zu werben. Die Obszönität unserer Kultur. Unentrinnbar.

* »Der Pianist«, Frankreich 2002, Regie: Roman Polanski, 148 Minuten, bereits angelaufen

hagalil.com 13-10-02

 


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