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Paris:
Ein 1. Mai bei Frankreichs Neofaschisten

Bernhard Schmid, Paris

Aus gegensätzlichen Motiven wurde auch in diesem Jahr am Pariser 1. Mai demonstriert. Ähnlich wie in den Vorjahren marschierte am Vormittag ab 9.30 Uhr der rechtsextreme Front National (FN) auf, dessen engere Parteigänger teilweise aus ganz Frankreich herangekarrt worden waren. Gegen Mittag endete die rechtsextreme Parade, einmal mehr, mit einer rund einstündigen Rede von Parteichef Jean-Marie Le Pen auf dem Vorplatz der Pariser Oper.

Auch in diesem Jahr blieb die Zahl der Teilnehmer an diesem Aufmarsch deutlich hinter jenem an der nachmittäglichen Demonstration von Linken und Gewerkschaften zurück. Auf Paris bezogen, lag das Verhältnis in diesem Jahr bei 1 zu 10. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nachmittagsdemo nur eine regionale ist, denn in weiteren Städten (Marseille, Strasbourg...) fanden ebenfalls bedeutende Maidemonstrationen statt. Somit bleibt die extreme Rechte nach wie vor kilometerweit von ihrem Ziel entfernt, am Arbeiterfeiertag auch nur entfernt die Straße zu dominieren.

Le Pen will nationale Arbeit und nationales Kapital versöhnen - gegen das "vaterlandslose (Finanz-)Kapital"

Seit 1988 marschiert der Front National (FN) jährlich am 1. Mai zu Ehren seiner "Nationalheiligen" Jeanne d'Arc, zu deutsch Johanna von Orléans, durch Paris. Eigentlich liegt der Gedenktag für die Nationalpatronin, die seit dem späten 19. Jahrhundert durch die äußerste Rechte als Symbol entdeckt wurde (sie hatte im 15. Jahrhundert gegen die englische Invasion gekämpft, jedenfalls der Legende zufolge), auf dem zweiten Sonntag im Mai.

Doch im Jahr 1927 lancierte der französische Faschist Georges Valois als Erster die Idee, die extreme Rechte solle den internationalen Arbeiterfeiertag für sich besetzen, um der Arbeiterbewegung auch auf der Straße den Rang abzulaufen. Er schlug vor, das Gedenken an Jeanne d'Arc auf den - bei den Gewerkschaften und Sozialisten bereits üblichen - Demotag am 1. Mai zu verlegen. Valois war der Chef einer Partei, die sich Les Faisceaux (die Bündel) nannte, unter Anlehnung an die altrömischen Fasci (Rutenbündel), nach denen sich die italienischen Faschisten benannt hatten. Es handelt sich um die erste offen faschistische Partei auf französischem Boden, die damals noch unbedeutend blieb und Ende der 20er Jahre scheiterte. Freilich sollte sie später Nachahmer finden.

Der Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen lancierte exakt die gleiche Idee in den späten 80er Jahren. Wie andere rechtsextreme Organisationen, Gruppen und Sekten auch, hatte der FN bis dahin am zweiten Maisonntag "für Jeanne d'Arc" paradiert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einige der Vordenker der Partei - die sehr geschichtsbewusst ist, was die Kenntnis der historischen faschistischen Bewegungen betrifft - diese Vorgeschichte kannten. Zugleich war der praktische Nutzen im Jahr 1988 evident: Damals, wie in jedem Präsidentschafts-Wahljahr, liegt der 1. Mai genau in der Mitte zwischen den beiden Wahlgängen. Le Pen, der 1988 zum ersten Mal ein bedeutendes Ergebnis (14,4 Prozent) erhielt, konnte durch einen öffentlich beachteten Aufmarsch so besonders starken Einfluss auf die Stichwahl nehmen.

Ende der 90er Jahre kamen zwischen 6.000 und 10.000 Anhänger dazu zusammen, besonders 1996 war der Aufmarsch erfolgreich. Hingegen brachen die Teilnehmerzahlen nach der Parteispaltung von 1999 ein, und fielen auf nurmehr an die 3.000. Seinerzeit war auffällig, dass der FN die Parade bewusst auseinander zog, und manchmal riesige Löcher zwischen den Blöcken klaffen ließ - um die Schwäche der (landesweiten) Mobilisierung zu überdecken.

Eine Ausnahme bildete der 1. Mai 2002. Zehn Tage davor war es Le Pen überraschend gelungen, in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zu ziehen. Deswegen musste jetzt, vor der Stichwahl, Mobilisierungsfähigkeit bewiesen werden. Kostenlose Busse wurden, auch für entferntere Sympathisanten, aus allen Teilen Frankreichs zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis (10.000 bis 12.000 Teilnehmer) schien jedoch hinter die Erwartungen der Organisatoren zurückzufallen. Deren Sprecher Martial Bildt - junger Vorsitzender der Pariser Parteisektion - kündigte damals von der riesigen Tribüne herab mehrfach an, weitere Busse seine noch eingetroffen, deren Insassen noch auf den Platz drängen würden. Doch von jeglichem Neuzugang auf die Kundgebung war weit und breit nichts zu sehen... Fantasievoll gab die Partei die Mobilisierung später mit 120.000 an, was jedoch offensichtlich unsinnig war.

In diesem Jahr war an eine Wiederholung davon nicht zu denken. Einen ähnlichen Finanzaufwand konnte der FN nicht verkraften, zumal er erst 12 Tage davor einen aufwendigen Parteikongress in Nizza organisiert hatte. Daher blieb es beim Aufmarsch der engeren Parteigänger. Rund 4.000 kamen dabei zusammen, darunter einige hundert auffällig rechtsradikal gekleidete jüngere Teilnehmer (einige Skinheads in schwarzem Outfit mit Blood & Honour-Aufschrift mitgezählt). Normalerweise muss diese, aus Sicht der Älteren schwer zu kontrollierende - die Presse sieht zu! - Jugend ganz hinten marschieren. Dieses Mal war sie jedoch nach vorn an den Demo-Anfang geschoben worden. Denn die Demo benötigte dringend die großmäuligen Sprechchöre der jungen Ultras, um überhaupt ein bisschen animiert zu wirken - auch wenn man an der Parteispitze die bekleidungsmäßige "Folklore" nicht immer schätzt, jedenfalls wenn sie schadet.

Das gesellschaftliche Profil der extremen Rechten hat sich verengt

Auffällig war dabei vor allem, dass keine einzige der "sozialen" Vorfeld- oder Satellitenorganisationen des FN mehr vertreten war, die in früheren Jahren auf sich aufmerksam machten (beispielsweise als rechtsextreme "Gewerkschaften", Arbeitslosenfronten oder Mietervereinigungen, die zwischen 1995 und 98 gegründet worden waren). Einzige Ausnahme war der FN-Veteranenverband CNC, dessen alternde Militaristen im Gänsemarsch paradierten -früher marschierten sie in Blöcken. Das sah eher lächerlich aus, auch wenn es ihre Reihen in die Länge zog. Ansonsten defilierten ausschließlich Kreisverbände der Partei.

Das soziale Frage, die die Rechtsextremen noch in den 90er Jahren hatten besetzen wollen, wird durch sie heute offenkundig vernachlässigt. Ein einziges mitgeführtes Transpartent war "sozialen" Inhalts ("Garantiert unsere Renten"). In seiner knapp einstündigen Rede - die etwas weniger langatmig ausfiel als in den Vorjahren - betonte Le Pen, Kapital und Arbeit stünden sich in einem nationalen Rahmen nicht als Gegner gegenüber. Hingegen sei das vaterlandslose (Finanz-)Kapital von Übel, das der Arbeit die Grundlagen entziehe.

Die nationale Rechte müsse den Mut haben, zu sagen, dass die Probleme nur gelöst werden könnten, indem man "in Frankreich mehr und länger arbeitet". Ferner gebe es nur eine Lösung für die Problematik der Altersversorgung, nämlich die natalistische Lösung: Man müsse möglichst viele "französische Kinder machen". Aber bitte nicht Kinder von Immigranten in Frankreich, denn, so zog Le Pen einmal mehr eine Parallele vom Tierreich zur menschlichen Gesellschaft: "Man kann einem Grauesel die Haare abschneiden, deswegen wird er noch lange nicht zum Rassenpferd."

Das war Le Pens Beitrag zur aktuellen Debatte um die Renten"reform". Wahrscheinlich keine gute Voraussetzung, um in der aktuellen Konfrontation zwischen neoliberaler Regierung (welche Renten senken und Beitragszeiten verlängern will) und gegen die rückschrittliche "Reform" kämpfenden Gewerkschaften zu punkten. Eher macht er gerade die jahrelangen Versuche der extremen Rechten in den Neunzigern zunichte, als die "wahre soziale Alternative" neben liberaler Regierungspolitik und "Systemgewerkschaften" zu erscheinen. Zu den gewerkschaftlichen Protesten in der Renten-Sache merkte Le Pen nur an: "Wenn es schlecht geht, dann geht die Linke demonstrieren, gestern <gegen Le Pen> oder heute  <für die Renten> - so, als ob sie mit den Füßen denkt. Morgen wird sie dann vielleicht gegen andere Dinge protestieren: gegen die asiatische Grippe, gegen den Hagel, gegen den Brustkrebs." Das brachte ihm zwar Heiterkeit bei seinen Anhängern an. Über deren Reihen hinaus dürften das aber nicht alle so komisch finden, wenn es nun bald ganz konkret um die Verteidigung sozialer Errungenschaft gegen neoliberale Abrisspläne geht.

Rechtsextremer Devotionalienhandel

Im Anschluss auf die Rede konnte man auf dem Vorplatz der Oper, der nicht allzu überfüllt wirkte, seinen Bedarf (sofern vorhanden) an rechtsextremen Zeitschriften, Plakaten, CDs oder Neonazi-Devotionalien decken. Besonders von jungen Anhängern umringt war ein Stand, an dem beispielsweise schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "NSDAP München" vertickt wurden. Andere, die am gleichen Stand zu haben waren, trugen Abzeichen (Keltenkreuz) und Schriftzug der verbotenen rechtsextremen Schlägertruppe GUD, wieder andere zeigten ein Fantasieporträt von Saddam Hussein mit einem Offiziersberet, das vom Keltenkreuz geschmückt wurde.

Nebenan fand sich das betagtere Publikum ein, dort gab es etwa "nette" Postkarten, die anscheinend vom Zeichner - er nennt sich "Ignace" - persönlich verkauft wurden. Der Verkäufer,  an die 40, grinste freundlich: Wie immer hatte ich meinen Journalisten-Ankleber auf Nimmerwiedersehen in der Tasche verschwinden lassen, um mich unauffällig unter das Partei-Fußvolk zu mischen, bei dem die Presse nicht immer beliebt ist. Auf einer der Postkarten sieht man Paul Touvier, den Anfang der 90er Jahre verstorbenen Chef der Miliz des Vichy-Regimes, mit einem Engel (seinem Schutzengel ?) - der ihm versichert, sein Urteil vor dem Jüngsten Gericht werde positiv ausfallen, "weil der Oberste Richter keine Verbindung zu Freimaurern und Judentum hat". Auf einer anderen wird man aufgefordert, "weder Pest noch Cholera" gut zu finden. Dargestellt sind dazu die Karikatur eines Kommunisten (Stalinbart, Outfit eines Politkommissars) und jene eines Freimaurers (mit dem berühmten Zirkel-Emblem)  - die Weltverschwörung lässt schön grüßen.

Bei der Jugendorganisation FNJ wiederum konnte man sich mit extrem aggressiv wirkenden Aufklebern eindecken, auf denen dick und fett "Du scheißt auf Frankreich - hau ab!" zu lesen steht. Darauf sieht man einen Immigrantenjugendlichen, der an seinem Trabantenstadt-Look zu erkennen sein soll - verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappe und Sportklamotten - und dem Betrachter anscheinend mit einem Knüppel droht. Ich konnte mich problemlos mit einer größeren Menge des Machwerks eindecken. Die landete wenigstens in der Mülltonne.

Am Nachmittag dann demonstrierten 40.000 Personen durch Paris, mit verschiedenen Gewerkschaften, linken Organisationen und Immigrantenvereinigungen. Im übrigen Frankreich waren, meist schon am Vormittag, bereits an die 300.000 Menschen in verschiedenen Städten auf die Straße gegangen. Fast überall stand die drohende "Reform" der Renten im Vordergrund, gegen die am 13. Mai frankreichweit gestreikt wird. Die zu erwartende soziale Polarisierung wird, so ist zu hoffen, Le Pen für eine Weile aus dem politischen Leben abgehängt lassen.

NACHSATZ:

Unweit vom Zug der FN-Anhänger fand auch dieses Mal gegen 11 Uhr die Kranzniederlegung statt, die seit Ende der 90er Jahre von linken, antirasstischen und antifaschistischen Gruppen durchgeführt wird. Mit ihr gedenken die Teilnehmer auf einer der Seinebrücken - dem Pont du Carrousel - dem jungen Marokkaner Brahim Bouraam, der an dieser Stelle in die Seine geworfen worden und ertrunken war. Der Mord ereignete sich am 1. Mai 1995, während der jährliche FN-Marsch "für Jeanne d'Arc" hier vorüber zog. Die Täter waren vier Skinheads, die man damals am Aufmarsch hinter Le Pen hatte teilnehmen lassen. Auch wenn die rechtsextreme Partei sich natürlich hinterher von ihnen distanzierte (eine solche Tat macht sich in der Öffentlichkeit schlecht) - die Bus waren mit dem Bus der FN-Sektion aus dem ostfranzösischen Reims angereist.

Am diesjährigen 1. Mai 2003 nahm Le Pen in seiner Rede zu der Kranzniederlegung Stellung: Er befand es für skandalös, dass der seit zwei Jahren amtierende sozialistische Oberbürgermeister Bertrand Delanoe (anders als sein rechter Amtsvorgänger Jean Tiberi) an dieser Aktion teilnehme. Anscheinend weihe man nun jedes Jahr eine neue religiöse Gedenktafel - in Bayern und Österreich nennt man so etwas "Marterl" - ein, wenn es nur zum Ziel habe, dem FN zu schaden. Doch auch Delanoe sei ja Opfer eines Attentats geworden, "von Seiten eines seiner politischen Freunde". Das Stadtoberhaupt war Anfang Oktober 2002 von einem geistig umnachteten Mann mit einem Messer verletzt worden. Deswegen, so Le Pen, solle der Oberbürgermeister sich doch gleich "eine Gedenktafel um den Hals hängen". Der mehr als geschmacklose Ausfall war nicht dazu angetan, bei anderen Parteien und Medien den Abscheu für Le Pen zu verringern.

hagalil.com 04-05-03

 


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