Der
österreichische Moderator der Sendung "Kulturzeit" in 3SAT, Herr
Grandits, sagte gestern sinngemäß: Da die Amerikaner im Irak das Recht
mit Füßen treten, machen es ihnen andere Völker nach. In Thailand
erschießt jetzt die Polizei die Drogenhändler, ohne sich die Mühe zu
machen, sie zu verhaften, eine klare Rechtsverletzung, und daran ist
Amerika schuld – noch nicht die Juden, nein, vorläufig nur die
Amerikaner, sagt er.
In den 20er Jahren schrieb Friedrich Holländer einen Text zur Melodie
der Habanera aus der Oper Carmen:
An allem sind die Juden schuld,
die Juden sind an allem schuld,
allem schuld.
Warum sind denn die Juden schuld?
Kind, das verstehst du nicht,
sie sind dran schuld.
Die Hetze gegen Amerika war in der Sendung, die behauptet, etwas mit
Kultur zu tun zu haben, in den letzten Wochen gnadenlos. Die
abstrusesten Themen, wie oben, kamen da zur Sprache, nur um Amerika eins
auszuwischen. Vielleicht sollte man allerdings Herrn Grandits zugute
halten, dass er zumindest so aussieht, als merkte er das nicht. Die
Augen starr auf den Teleprompter gerichtet, leiert er seine Ansagen
herunter, verspricht sich, zögert vor Worten mit mehr als drei Silben
und betont immer wieder das Falsche. Nun gut, sagt man sich, er und
diese Sendung sind halt ein weiteres Indiz der Unkultur, die sich in
Europa ausbreitet, des Dilettantismus und somit des Kampfes gegen Kunst
und Kultur.
Im Fernsehen ist es die "Quote", die gegen die Kunst kämpft, im Theater
die traditionsverachtenden Regisseure mit ihren ahnungslosen, sich
wichtig machenden Zeitungskritikern, in der Literatur die
profitverhafteten Verlage mit ihren immer ungebildeter werdenden
Lektoren, die um ihre Posten bangen und vermeinen, sich den kulturlosen
Zeitläufen anpassen zu müssen, in der bildenden Kunst sind es die Leute,
die neue Ideen schon für Kunst halten, in der Musik die Experimentierer
und so weiter. Aber wenn man genau hinschaut, ist es mehr als das: es
ist das Böse, das gegen Kunst und Kultur kämpft und zumindest
kurzfristig auch triumphiert. Und jetzt ist dieses Böse eben wieder auf
den Antisemitismus gestoßen, im Westen nichts Neues.
Natürlich hat das auch mit Quote zu tun. Endlich kann man laut sagen,
was man bisher nur heimlich dachte.
Man kann sogar Massendemonstrationen veranstalten, und die Leute wissen
schon, wer gemeint ist, nämlich vorläufig die Amerikaner. Laut einer
Umfrage in Frankreich, denkt jeder dritte Franzose, dass es besser
gewesen wäre, wenn die Iraker gesiegt hätten. Und ein Schweizer Künstler
sagte dieser Tage zu mir: "Georg, du bist mein Freund, aber Sharon ist
ein Kriegsverbrecher."
Es gibt also wieder "auch anständige Juden", und einer von denen bin
diesmal ich.
Fast alle meine Freunde hier in der Schweiz und anderswo sind Christen,
und sie wünschen mit bestimmt nichts Böses. Ich bin überzeugt, dass sie
mich in künstlerischer Hinsicht wie auch charakterlich schätzen, ja
sogar lieben. Sie zeigen mir immer wieder, dass sie es gut mit mir
meinen, sie sind hilfreich und ehrlich, obwohl sie wissen, dass ich Jude
bin. Sie sind nicht die einzigen, ich treffe auch fremde Leute, die
nichts von mir wissen, außer, dass ich Jude bin.
Sie kennen weder meine Lebensgeschichte, noch meine Ansichten, sie
wissen nicht, ob ich verheiratet, homosexuell oder Erotomane bin, aber
sie wissen, dass ich Jude bin. Sie haben manchmal noch nie einen Juden
zu Gesicht bekommen, aber sie wissen, dass ich einer bin. Sie lehnen
jeglichen Antisemitismus ab, aber sie wissen, dass ich Jude bin.
So viele Parallelen zur Hitlerzeit fallen einem alten Menschen wie mir
ein, so viel hat man schon damals im "Stürmer" und im "Völkischen
Beobachter" gelesen. Der Urfeind ist wieder da, egal ob er da ist oder
nicht. Der Stumpfsinn mündet wieder in die Barbarei, der Abstand
zwischen Kapitalismus und Kannibalismus wird von Tag zu Tag kürzer.
Während der Hitlerzeit war ich in Amerika. Ich fühlte mich wohl dort,
wenn auch ein wenig fremd. Nach dem Krieg kam ich zurück nach Europa,
aber ein Zuhause-Gefühl wollte sich auch da nicht einstellen. In den
letzten Wochen hat sich das jedoch geändert. Ich werde wieder verfolgt,
denke wieder an Flucht, habe wieder Angst, kurz, ich fühle mich wieder
zuhause.
Georg Kreisler, 1922 in Wien geboren, 1938 in die USA emigriert;
Kabarettist, Schriftsteller, Schauspieler und mehr. 1942 erhielt
Kreisler die amerikanische Staatsbürgerschaft und lebt seit einigen
Jahren in der Schweiz.
Erschienen in: Campo de Criptana, 2/2003