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Judentum und Israel
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Interview: Gabriele Brenner
»Aktive Juden sind nicht gerne gesehen«

Die Serie von antisemitischen Anschlägen im oberpfälzischen Weiden reißt nicht ab. Erneut beschmierten vermutlich rechtsextremistische Täter in der vergangenen Woche das Mahnmal gegen Rassenwahn, das an die von den Nazis deportierten und umgebrachten Weidener Juden erinnert (Jungle World, 42/00). Am selben Tag überfielen Neonazis einen Taxifahrer, schlugen ihn krankenhausreif und stahlen sein Taxi. Bisher ist unklar, ob die Festgenommenen mit den antisemitischen Anschlägen in Verbindung stehen. 

Gabriele Brenner ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Weiden. Mit ihr sprach Stefan Wirner (Jungle World 13/2001).

Wie gehen Sie damit um, dass es innerhalb von wenigen Monaten fünf antisemitische Anschläge in Weiden gegeben hat?
Auf der einen Seite bin ich frustriert, denn das war schon eine völlig neue Erfahrung für uns im letzten Jahr. In so offener Form hat es das ja vorher nicht gegeben. Auf der anderen Seite kommt jetzt viel Zuspruch aus der Bevölkerung. Immer mehr Leute beginnen langsam zu verstehen, wie wir uns fühlen. Wahrscheinlich dauert es wirklich eine Zeit, bis das jemand nachvollziehen kann.

Sie haben sich im vergangenen Jahr darüber beschwert, dass die Bevölkerung nicht sonderlich empört auf die Angriffe gegen die Jüdische Gemeinde reagierte. Die vorherrschende Meinung war, dass man die Vorfälle nicht überbewerten solle. Und das hat sich in dieser kurzen Zeit verändert?
Ja, und vor allem wird man jetzt ernst genommen und die Leute schauen hin, wenn jemand vom evangelischen Dekanat auf einen zukommt und direkt den Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde wagt - ich sage ganz bewusst: wagt - und anfragt, »können wir mit euch was machen?«, dann lässt das hoffen. So haben wir beschlossen, im Sommer zwei Aktionswochen durchzuführen, die wir mit Bedacht unter das Motto gestellt haben: Versuch einer Begegnung.

Nach den letzten Anschlägen haben Sie die ausbleibende Reaktion der Verantwortlichen in Weiden, vor allem des Oberbürgermeisters Hans Schröpf (CSU), kritisiert. Hat sich auch an dessen Verhalten etwas geändert?
Schröpf hat zwar reagiert, indem er den Vorfall als »feige Tat« verurteilte, aber bei uns hat er sich nicht gemeldet. Das eine ist die Tat an sich - das betrifft den Stein, das Denkmal. Aber eigentlich geht es doch um die Menschen, die dahinter stehen. Und da habe ich von Seiten des Oberbürgermeisters nichts gehört.

Während das Polizeipräsidium Niederbayern/Oberpfalz in Weiden einen Schwerpunkt der rechten Szene sieht, weist die Statistik der Weidener Polizeidirektion für das Jahr 2000 keine rechten Straftaten aus. Polizeichef Josef Wittmann beharrte nach dem letzten Anschlag erneut darauf, dass es keine rechte Szene in Weiden gebe, und dass die Polizei in alle Richtungen ermittle.
Da muss man wirklich erstmal definieren, wodurch eine rechte Szene gekennzeichnet ist. Viele gehen jetzt davon aus, dass diese erst dann vorhanden ist, wenn Leute sich um einen Anführer scharen. Und da der Anführer momentan im Gefängnis sitzt, gebe es auch keine rechte Szene. So einfach ist das. Für mich aber fängt die Szenenbildung schon dann an, wenn Leute überhaupt solche Gedanken haben und sich organisieren. Ob die einen Anführer haben oder nicht, ist für mich zweitrangig. Anschläge wie die der letzten Monate werden ja wohl kaum von Linken begangen, gegen die immer gerne ermittelt wird. In der linken Szene funktioniert Antisemitismus völlig anders. Für mich ist klar, dass es aus der rechten Szene kommt.

Vorletzten Sonntag, am Abend nach der Schändung des Mahnmals, haben Skinheads aus dem umliegenden Landkreis einen Taxifahrer in Weiden überfallen, das Taxi gestohlen und auch noch einen Radfahrer beraubt. Weiß man schon, ob die Verhafteten etwas mit den Anschlägen zu tun haben?
Die Polizei sagt nein und schließt das damit von vornherein aus. Aber auch ich will mich keinen Spekulationen hingeben, denn wahrscheinlich ist es wirklich schwer, den zu finden, der den Farbanschlag begangen hat. Dem muss man erstmal nachweisen, dass er tatsächlich etwas geschmissen hat. Und doch stellt man wieder erst nach dem Überfall fest: Es gibt hier Rechtsextreme. Aber wie könnte es anders sein?


Weiden ist nicht der einzige Ort in der Region, in dem Rechte den Ton angeben. Auch in Deggendorf versetzt die Neonazi-Szene die Bewohner in Angst und Schrecken, rassistische Gewalttaten gab es darüber hinaus in Regensburg und in Schwandorf. Ist die Oberpfalz zu einer Hochburg der Rechtsextremen geworden?
Das glaube ich nicht. Ich denke einfach, das ist der Zug der Zeit. Das geht durch ganz Deutschland. Manche Gegenden wachen schneller auf, in anderen Gegenden braucht man etwas länger. An manchen Orten glauben die Leute, sie seien nicht davon betroffen. Die glauben, sie leben auf dem Mond. Aber die Oberpfalz gehört halt auch zu Deutschland.

Warum kommt es dann ausgerechnet in Weiden zu einer derartigen Häufung antisemitischer Übergriffe?
In Weiden gibt es eine Jüdische Gemeinde, die keine stille, leise Gemeinde ist. Allgemein heißt es ja: »Juden, haltet euren Mund, dann passiert euch nichts.« Wir haben uns sehr stark engagiert, z.B. in der Zusammenarbeit mit dem evangelischen Dekanat, mit der Volkshochschule und der Regionalbibliothek, auch mit der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg. Wir bringen uns sehr stark in die Gesellschaft ein, und das wird nicht gerne gesehen. Das wird auch von offiziellen Stellen nicht gerne gesehen, dass die Juden wieder so aktiv sind. Wobei ich das als ganz normale gesellschaftspolitische Aufgabe betrachte.

Wie ist das Verhältnis der Jüdischen Gemeinde zu den Parteien und zur Stadtverwaltung in Weiden?
Ich habe ein gutes Verhältnis zur SPD, die mich auch sehr ernst nimmt, aber erst jetzt, nach dem letzten Anschlag gemerkt hat, wie aktuell das Thema ist. Vertretern anderer Parteien bin ich ein wenig unheimlich. Ich bin einfach zu laut. Ich bin eine Frau und sage, was los ist. Das ist man hier nicht gewohnt. Man darf nicht alles ansprechen, was man sieht. Aber ich mache das sehr bewusst, ich bringe mich ja auch ein. Nur lasse ich mir nicht vorschreiben, wie.

Die Jüdische Gemeinde setzt sich unter anderem für die Integration jüdischer Kontingentflüchtlinge ein. Wie werden Sie dabei unterstützt?
In unser sozialarbeiterischen Tätigkeit kriegen wir von der Stadt das, worauf wir bestehen, aber um eine vertrauensvolle, freundliche Zusammenarbeit handelt es sich dabei nicht. Aus anderen Städten weiß ich, dass es auch anders geht. Seit 1994 hat die Jüdische Gemeinde in Weiden 1 200 Leute betreut. Jeder, der einmal Sozialarbeit gemacht hat, weiß, was das für eine Arbeit ist. Hinter jedem steht ja eine ganze Lebensgeschichte. Und das erledigt alles ein Sozialarbeiter, dessen Stelle zu zwei Dritteln vom bayerischen Staat getragen wird, das andere Drittel finanzieren wir selbst.

Nach dem Anschlag auf Ihr Fotogeschäft im vergangenen Herbst haben Sie von der Möglichkeit gesprochen, mit Ihrem Mann im Ausland eine zweite Existenz aufzubauen.
Das ist immer noch ein Thema, nicht nur bei uns in der Familie. Ein Freund aus München sieht die Situation ähnlich. Und neulich war ein Bekannter da, der auch meinte, irgendwann gehe er ins Ausland, weil es in Deutschland eben so ist, wie es ist. Wenn meine Kinder das Haus verlassen haben, werden wir sehen. Aber die sind selbst schon so weit, dass sie sagen, es ist überall schön auf der Welt.

[Forum: WEIDEN]

klick-nach-rechts.de
22.03.2001

 


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