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Wahlen:
Brüssel in Bel-Gien

Am 18. Mai wird in ganz Belgien gewählt. Möglicherweise zum letzten Mal...

Lucien Maigret

Nächsten Sonntag wird in Belgien eine neue Regierung gewählt, und den meisten Bürgern ist das vollkommen egal. Denn schon seit Jahrzehnten vollzieht sich das politische Leben nicht mehr im Rhythmus der vierjährigen Legislaturperioden, sondern wird von den Verfassungsreformen bestimmt, die dem Königreich alle zehn bis zwölf Jahre ins Haus stehen. Dabei wird stets Hand an das gelegt, was anfangs noch die belgische Staatlichkeit war. Der Föderalismus wurde so weit getrieben, dass Belgien heute – Brüssel, das eine Sonderrolle spielt, nicht mitgerechnet – aus zwei Landesteilen besteht, die sich in der Hauptsache nicht mehr durch ihre Sprache unterscheiden, sondern durch die immer größer werdenden Diskrepanzen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur, in der politischen Kultur und den politischen Strukturen.

Die belgische Regierung besteht aus sechs Parteien, die so unterschiedlichen politischen Lagern angehören, dass man, um in der üblichen Schwarz-Rot-Grün-Terminologie bleiben zu können, den Begriff der Regenbogenkoalition einführen musste. Denn Liberale, Sozialisten und Grüne sind jeweils in ihrer flämischen und ihrer wallonischen Ausformung vertreten, und die Unterschiede zwischen den Schwesterparteien der beiden Sprachgruppen sind oft größer als die zwischen den politischen Gegnern aus demselben Landesteil.

Das machte sich Premierminister Guy Verhofstadt von der flämischsprachigen liberalen VLD zunutze, als er zwei Wochen vor den Wahlen die französischsprachige grüne Verkehrsministerin Isabelle Durant aus der Regierung drängte. Zur Krise kam es trotzdem nicht, denn als erstes distanzierten sich die flämischen Grünen von ihrer geschassten Parteifreundin. So etwas ist normal im föderalen Modell Belgiens, das vielleicht aus diesem Grund von Verhofstadt immer wieder als »voller Erfolg« gelobt wird.

Durch die Verfassungsreformen wurden dem belgischen Staat zahlreiche Staatsaufgaben entzogen und liegen jetzt bei den Regionen Flandern, Wallonie und Brüssel einerseits sowie den Gemeinschaften, eigenen Verwaltungsorganen der Sprachgruppen, andererseits. Während die französischsprachigen Belgier aber fein säuberlich trennen zwischen einem wallonischen Parlament, das in der Stadt Namur tagt, und den Organen der französischsprachigen Gemeinschaft, die in Brüssel sitzt, haben die Flamen kurzerhand die beiden Verwaltungsstränge zusammengelegt. Das entspricht dem gewachsenen Nationalbewusstsein der Flamen, das den Bezug zur staatlichen Einheit Belgien verliert.

In Zukunft wird die so entstandene Kluft noch vertieft werden, denn noch in einem weiteren Punkt konnten sich die flämischen Parteien durchsetzen. Den belgischen Senat, der bisher je zur Hälfte mit direkt gewählten Mitgliedern und von den drei Sprachgemeinschaften entsandten Vertretern besetzt war, wird es in Zukunft nicht mehr geben. An seine Stelle wird ein Gremium treten, das einerseits von den Sprachgemeinschaften, andererseits von den Regionen beschickt wird. Ein Vorteil für Flandern, wo beides dasselbe ist.

Die Ultras beider Seiten wollen noch mehr. Die Nieuw-Vlaamse Alliantië etwa, eine Fünfprozentpartei, die auf dem schmalen Grat zwischen den Konservativen und den Rechtsextremisten des Vlaams Blok (VB) wandelt, wollte in der Verfassung gleich das Ziel festschreiben, Belgien in eine Konföderation umzuwandeln. Und der Vlaams Blok macht zwar im Wahlkampf hauptsächlich mit rassistischer Hetze gegen die arabischsprachige Bevölkerungsgruppe Stimmung und verteilt in Brüssel als einzige Partei alle seine Flugblätter und Broschüren in zweisprachiger Ausführung. Das Ziel einer Auflösung des belgischen Staatsverbandes hat er aber keineswegs aufgegeben. Mit diesem Programm wird er bei den Wahlen am nächsten Sonntag nochmals zulegen und dritt- oder viertstärkste Partei im flämischen Landesteil werden. Der VB-Vorsitzende Frank Vanhecke hat es bereits zum Ziel erklärt, die flämischen Sozialdemokraten vom dritten Platz zu verdrängen. In den Umfragen liegen der liberale VLD, die Christdemokraten und die Sozialdemokraten bislang Kopf an Kopf beieinander, dicht gefolgt vom VB.

Auf der französischsprachigen Seite dagegen fordern nur einige Splittergruppen die Auflösung des belgischen Staatsverbandes. Die Idee einer wallonischen Unabhängigkeit vertritt niemand. Die so genannten Rattachisten fordern vielmehr einen Anschluss an Frankreich. Die belgische Schwesterpartei des französischen Front National konzentriert sich auf Hetze gegen Immigranten und wirbt ansonsten für »die belgische Nation«. Eine Mischung, mit der die Partei nach Umfragen vor allem im Bankrott gegangenen Industrierevier Charleroi-Mons mehr als fünf Prozent erzielen könnte.

In der zunehmenden politischen Spaltung zwischen den beiden Landesteilen spiegelt sich eine wirtschaftliche Entwicklung, die innerhalb der letzten fünfzig Jahre eine komplette Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen den beiden Sprachgruppen mit sich gebracht hat. Die Wallonie, die einst eine der bedeutendsten Stahlindustrien der Welt beherbergte und den politischen Machtanspruch abonniert hatte, befindet sich seit den fünfziger Jahren im steten wirtschaftlichen Niedergang. Nun hat auch noch der größte Stahlkonzern Arcelor, der bei Liège die letzten bedeutenden Hüttenwerke besitzt, deren Schließung für das Jahr 2009 angekündigt. In Flandern setzt man dagegen auf die Dienstleistungsindustrien, die nicht mit weiteren Transferzahlungen an den belgischen Mezzogiorno belastet werden sollen.

68 Prozent des belgischen Steueraufkommens werden in Flandern erwirtschaftet, wo nur wenig mehr als die Hälfte der Belgier zuhause ist. Die Wallonie steuert gerade einmal 22 Prozent bei, der Rest entfällt auf Brüssel. Ein großer Teil dieser Gelder, so sehen es die Flamen, wird für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit in der Wallonie aufgewendet, wo 20 Prozent keinen Job haben, fast doppelt so viele wie in Flandern.

Gleich nach den Wahlen wird erneut knapp ein Drittel aller Verfassungsartikel neu gefasst, und wieder einmal ist es vor allem der aufstrebende flämische Landesteil, der davon profitiert. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Abschaffung einer Bestimmung, die Verfassungsänderungen bis jetzt an die Auflösung des Parlaments gebunden hat. Damit wurde der Ehrgeiz der flämischen Parteien, die ihre Hälfte von Belgien schrittweise in die Unabhängigkeit oder in eine möglichst weit reichende Autonomie führen wollen, etwas gebremst.

Es wird wohl nicht allzu lange dauern, bis die nächste Verfassungsänderung über die Belgier hereinbricht. Da ist es auch relativ egal, wer am 18. Mai als der Sieger dasteht, wenn ohnehin alle daran arbeiten, Belgien noch ein bisschen mehr auseinander zu reißen.

www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 21 vom 14. Mai 2003)

DG / hagalil.com / 2003-05-14

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