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Burschenschaften:
Heimat, Ehre, Freibier

Marburgs Konservative und Verbindungsstudenten feiern sich alljährlich selbst. Zwar regt sich Protest gegen den Marktfrühschoppen, doch zusammen sind Burschen und Bürger einfach unschlagbar...

Paul Wellsow

Ein ganz normales Volksfest sei der Marktfrühschoppen, da ist sich Marburgs CDU-Vorsitzender Christian Heubel sicher. »Wir unterstützen das Fest«, sagt er der Jungle World. Auch die Anwesenheit der Studentenverbindungen findet er unproblematisch, sie gehörten nun einmal zu Marburg. Der Bürgermeister Egon Vaupel von der SPD dagegen lehnt den Frühschoppen in seiner bisherigen Form ab, da es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen sei. So bereite das Feiern keine Freude mehr. Aber abschaffen will auch er das Fest nicht. Vielmehr solle es »entpolitisiert und weiterentwickelt werden, dass es für alle Studierenden offen ist«.

Das sieht Stephan Peters, Mitglied des kritischen Projekts Konservatismus und Wissenschaft, anders. »Der Marktfrühschoppen war immer vor allem ein Fest der Korporierten«, sagt er und bestreitet, dass die Veranstaltung reformiert werden könne. Auf dem Marktplatz zeigten sie die Gemeinsamkeiten der Verbindungen: »männerbündlerische Strukturen, elitäre Vorstellungen und das konservative Beharren auf Traditionen«.

Marburg steht bis heute in dem Ruf, eine linke Hochburg zu sein. Doch der Schein trügt. Denn in der hessischen Kleinstadt existiert ein konservatives Milieu aus alteingesessener Bevölkerung und den Verbindungsstudenten. Von den als »zugezogen« bezeichneten linken Studierenden lassen sie sich kaum beeindrucken.

Seit 1953 wird das Fest alljährlich Anfang Juli auf dem Marktplatz gefeiert. Damit dankten die Marburger den damals vorwiegend männlichen Studenten mit Freibier, Gesang und Blasmusik dafür, dass sie viel Geld für die Miete in der Stadt ließen, für die die Universität seit jeher der entscheidende Wirtschaftsfaktor ist.

Das Fest wurde darum so gestaltet, wie es die Studenten aus ihren Korporationen kannten und mochten. Und da Traditionen nun einmal der Moderne trotzen, wird auch heute noch so gefeiert. Korporierte Männer jeden Alters mit Band und Mütze bevölkern den Marktplatz, füllen sich die Bäuche bereits am Morgen mit zu viel Bier, singen von Heimat, Ehre und Vaterland und predigen in alkoholgetrübten Reden völkische Gemeinschaft und Frohsinn. Angeblich liberale Verbindungen trinken ihr Bier gemeinsam mit betont rechtsextremen, schlagenden Burschenschaften, und das elitäre Corps stößt sogar einmal mit den sonst so verachteten, weil nicht akademischen Bürgerinnen und Bürgern an.

Doch Verbindungen prägen die Marburger Öffentlichkeit auch sonst. Mit 30 Häusern und etwa 600 Aktiven sind sie ständig präsent. Sie werben mit Band und Mütze vor der Uni um Nachwuchs, bummeln an warmen Sommerabenden durch die Stadt, organisieren Vorträge und Partys, zeigen sich mit Band und Mütze in der Mensa und wohnen in auffälligen Villen. Ihre Bedeutung erlangen die Korporationen aber vor allem durch die vielen »alten Herren«, die es in Politik, Verwaltung, Uni und Wirtschaft zu etwas gebracht haben.

Seit fast zehn Jahren regt sich nun Protest gegen die öffentliche Zurschaustellung des Brauchtums der Verbindungen und ihrer Werte. Wegen der Störungen des Festes bleiben ihm inzwischen viele BürgerInnen fern. Doch die meisten trauern den guten Zeiten nach, in denen unbeschwert gefeiert wurde. »Weißt des noch, wie mer jedes Jahr auf dem Marktfrühschoppe zusamme mit de Studende in ihre bunte Mütze un Bänder gesunge hawwe?«, fragte eine Marburgerin, stellvertretend für viele, in der Oberhessischen Presse.

Wer heute noch am ersten Julisonntag auf den Marktplatz kommt, ist entweder Verbindungsstudent oder in politischer Mission unterwegs. Zwar treten mittlerweile die Parteien, denen früher eigene Tische und Bänke reserviert waren, nicht mehr geschlossen auf dem Marktplatz auf. Doch bis heute stützt die Lokalpolitik parteiübergreifend die Veranstaltung. Wie gut ein solches politisches Netzwerk funktionieren kann, ist zu beobachten, wenn der Marktfrühschoppen gegen Widerstände verteidigt wird.

Marburgs Oberbürgermeister Dietrich Möller (CDU) setzt sich immer wieder für die Korporierten ein und sang 2001 auf einem Treffen der Deutschen Burschenschaft, eines explizit rechten Korporationsdachverbandes, auch das Deutschlandlied in allen drei Strophen mit den deutschen Burschen.

Im Jahr 2002 dann drohte dem Frühschoppen Gefahr, doch Möller rettete ihn. Denn der Asta der Universität Marburg hatte ein Gegenfest auf dem Marktplatz angemeldet. Da er dem Marktfrühschoppenverein zuvorzukommen drohte, zauberte Möller plötzlich einen Mietvertrag aus der Tasche, den er am Stadtrat vorbei mit dem Verein geschlossen hatte. Laufzeit: fünf Jahre.

Aber auch vorher war die Stadt immer redlich bemüht, Proteste zu behindern und die Korporierten zu unterstützen. So wurde schon 1999 dem Asta die Genehmigung für ein antikorporiertes Fest verweigert, während der Frühschoppen in seiner üblichen Form stattfinden konnte, damals jedoch ohne Anmeldung und »spontan«, wie es bereits Tage vorher in der Presse hieß. »Spontan« standen dann auch Musik, Bier und die Polizei mit mehreren Hundertschaften zum Schutz bereit.

Demonstrationen gegen den Frühschoppen wurden von der Stadtverwaltung aus der Innenstadt verbannt und Gegenfeste mit Auflagen behindert. Auch Versuche, das Fest zu reformieren, scheiterten. 1997 gab es schon einmal Samba statt Blasmusik, Multikulti sollte den rechten Mainstram stoppen. Das Experiment war vor allem peinlich, und gestört hat es die Korporierten auch nicht.

Eine besondere Provinzposse spielte sich im Jahr 2002 ab. Mehrere Festbesucher schlugen damals unter den Augen der Polizei auf zwei Demonstrantinnen ein. Die nachfolgenden Verfahren gegen die Täter wegen Körperverletzung wurden »mangels öffentlichem Interesse« eingestellt, wie Oberstaatsanwalt Hans Jörg mitteilte.

Fast gleichzeitig erhielten mehrere GegnerInnen des Festes Strafbefehle über mehr als 300 Euro wegen versuchter Nötigung, Hausfriedensbruchs und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Ihnen wurde vorgeworfen, das Fest mit Trillerpfeifen und Transparenten gestört zu haben. Dass die Justiz offenkundig mit zweierlei Maß gemessen hatte, musste selbst die Lokalpresse eingestehen. Besonders pikant an dem juristischen Nachspiel war, dass einer der beiden Veranstalter des letzten Frühschoppens, der Sozialdemokrat Hans-Joachim Wölk, zugleich einer der Marburger Staatsanwälte ist und als Zeuge gegen die DemonstrantInnen autrat.

Aber auch dieses Jahr wird es am 6. Juli wieder Proteste gegen das Fest der Korporierten geben, wie Katharina Klingelbiel, die Sprecherin der Koordinierungsgruppe gegen den Marktfrühschoppen verspricht. Ihre Forderung ist eindeutig: »Der Marktfrühschoppen ist ersatzlos zu streichen. So ein Fest wollen wir nicht.«

www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 27 vom 25.06.2003)

kt / hagalil.com / 2003-06-25

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