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Judentum und Israel
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Potzlow:
Einfach nur Matsch

In der vorigen Woche begann der Prozess wegen des Mordes an dem 16jährigen Marinus Schöberl im brandenburgischen Potzlow. Für die Verteidiger gibt es keinen rechtsextremen oder antisemitischen Hintergrund...

Jens Thomas

Der Angeklagte Marcel S. soll auf einmal doch nicht gesagt haben, dass Marinus Schöberl ein »Scheißjude« gewesen sei. Auch nicht, dass der »Jude« es »nicht anders verdient« habe. Das hatte eine Zeugin anfangs der Polizei erzählt, aber nun bestreitet sie solche Aussagen. »Ich will die Leute nicht noch tiefer reinreiten«, wird Nicole B. von der Berliner Zeitung zitiert.
Am 26. Mai begann der Prozess gegen den 18jährigen Sebastian F., den gleichaltrigen Marcel S. und dessen sechs Jahre älteren Bruder Marco vor der Jugendstrafkammer des Neuruppiner Landgerichts wegen des Mordes an dem 16jährigen Marinus Schöberl (Jungle World, 49/02). Das Urteil soll frühestens am 18. Juni gesprochen werden. Die Verteidiger der Angeklagten plädieren auf eine »verminderte Schuldfähigkeit«, da bei der Tat, die von den Angeklagten nicht bestritten wird, Alkohol im Spiel gewesen sei. Im Fall einer Verurteilung wegen Mordes drohen Marco S. eine lebenslange Haft, den beiden zur Tatzeit noch nicht volljährigen Jugendlichen jeweils zehn Jahre Gefängnis.
Nach dem, was bisher über die Tat bekannt wurde, trafen die drei Angeklagten Marinus Schöberl in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli des vergangenen Jahres zunächst auf der Straße und forderten ihn zum Trinken auf. Marco S., ein polizeilich bekannter Neonazi, soll dann im Laufe der Nacht begonnen haben, Schöberl als »Jude« zu beschimpfen. Marcos Bruder Marcel kannte Schöberl gut. Der Jugendliche trug Hip-Hop-Hosen, blondierte Haare und stotterte. Für die Täter war das Grund genug, ihn als »Untermenschen« und als »nicht lebenswert« zu verachten.
Nachdem die drei Schöberl mehrere Stunden misshandelt hatten, ihm Schnaps eingeflößt, ihn geschlagen und auf ihn uriniert hatten, brachten sie ihn in einen nahe gelegenen Schweinestall. Dort drückten sie Schöberls Kopf auf die Kante eines steinernen Schweinetrogs, und Marcel S. sprang mit Springerstiefeln auf Schöberls Schädel. Dann warf er noch zweimal einen Stein auf den noch röchelnden Jungen, um sicher zu sein, dass dieser die Tat nicht überleben werde.
Der Kopf sei danach einfach nur »Matsch« gewesen, sagte Marcel S. in der vergangenen Woche regunglos im Gerichtssaal. Er habe einen »Blackout« gehabt und nicht gewusst, was er tat, lautete seine Rechtfertigung. Zwar räumten die Brüder vor Gericht ein, die Tat begangen zu haben, schnell versuchten sie aber, das Geschehene zu relativieren. Eigentlich hätten sie nicht vorgehabt, Marinus zu töten. »Wir wollten ihm im Stall noch ein bisschen Angst einjagen.«
Sebastian F. will nur aus Angst vor den beiden im Rausch handelnden Brüdern mitgemacht haben. Er habe befürchtet, dass er andernfalls der nächste sei. Doch die Brüder werfen Sebastian F. vor, Schöberl ebenfalls mehrmals geschlagen zu haben. Außerdem sei er es gewesen, der das Opfer zum tödlichen »Bordsteinkick« am Schweinetrog auf die Knie zwang.
Alle drei Angeklagten gaben mehr oder weniger halbherzig an, dass sie ihre Tat bereuten. Sie betonten aber auch, ihr Motiv sei kein politisches gewesen. Das sehen ihre Verteidiger genauso. Es sei zu einfach, die Tat auf die rechte Gesinnung der Angeklagten zu reduzieren. Die Ursachen lägen viel tiefer. Matthias Schöneburg, der Verteidiger von Marcel S., glaubt, die rechtsextremen Einstellungen der Angeklagten seien für die Tat nicht entscheidend.
Es wird eine wichtige Frage des Prozesses sein, ob es den Verteidigern gelingt, vom antisemitischen Motiv der Tat abzulenken. Marco S. soll Schöberl in jener Nacht gezwungen haben, sich als Jude zu bekennen. »Sag, dass du ein Jude bist«, habe er ihn aufgefordert. Die Staatsanwältin Eva Hoffmeister merkte an, dass Marinus »aus Angst vor weiteren Schlägen« schließlich erklärt habe, ein Jude zu sein, obwohl er keiner war.
Den politischen Hintergrund zu leugnen, ist eine altbekannte Strategie der Verteidiger rechtsextremer Gewalttäter, um ein mildes Urteil zu erreichen. Dabei ist Marco S. ein bekennender Neonazi, der erst neun Tage vor der Tat aus der Haftanstalt entlassen wurde. Er saß wegen mehrerer Straftaten eine dreijährige Strafe ab. Einen Monat nach dem Mord schlug er nach Angaben des Tagesspiegel einen Afrikaner zusammen. Ebenso wie die 17jährige Zeugin Nicole B. sitzt er derzeit übrigens eine Haftstrafe wegen des Überfalls auf einen Afrikaner ab.
Kay Wendel von der Opferperspektive glaubt, dass der Beweggrund für die brutale Tat ein Gemisch aus Antisemitismus, Rechtsextremismus und sozialer Verwahrlosung gewesen sei. Dieser letztgenannte Aspekt wird in den Medien immer wieder gerne betont: Marco S. brach nach der siebten Klasse die Schule ab, sein jüngerer Bruder Marcel S. nach der achten. Doch auch die soziale Benachteiligung erkläre jugendliche Gewalt nach Ansicht Rudolf Eggs von der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden nicht. Sie setzt allenfalls den Rahmen, in dem die Gewalt stattfinden könne, sagte er der Märkischen Allgemeinen.
Zeugen berichteten im Prozess, dass sich Marcel S. ungeniert gerühmt habe, einen »Asi« erschlagen zu haben. »Das ist geil, das müsst ihr auch mal machen«, habe er gesagt. »Er hat es lustig erzählt, war locker«, so ein Zeuge.
Einige Jugendliche in Potzlow wussten offensichtlich schon seit längerem von der Tat. Doch Marinus Schöberl galt vier Monate lang als vermisst. Im November 2002 führte Marcel S. die jetzige Zeugin Nicole B. zu der Jauchegrube, in der die Täter die Leiche versteckt hatten. Und plötzlich sei sie auf etwas Hartem gestanden, erzählte Nicole B. dem Gericht. »Das ist nur der Scheißschädel«, habe Marcel S. daraufhin gesagt.

www.jungle-world.com
Jungle Wolrd (Nummer 24 vom 04.06.2003)

kt / hagalil.com / 2003-06-05

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