antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Schweden:
Kein Zacken aus der Krone

Der Mord an Außenministerin Anna Lindh hat das Ergebnis des Euro-Referendums nicht beeinflussen können. Die Krone bleibt...

Bernd Parusel aus Schweden

Nur wenige Stunden, nachdem Anna Lindh an den Folgen des Messerattentats vom vergangenen Mittwoch verstorben war, begannen die Medien mit Spekulationen darüber, wie sich der Mord auf das Wählerverhalten bei der Euro-Volksabstimmung auswirken könnte.

Viele nahmen an, dass sich die meisten Bürger hinter die politische Führung des Landes stellen und mit einem Ja zur Gemeinschaftswährung ihre Sympathie für die beliebte Euro-Befürworterin Lindh zum Ausdruck bringen würden. Doch damit haben sie sich geirrt, denn der Euro wird nicht kommen. Am vergangenen Sonntag haben die Schweden gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung gestimmt und damit ein schon längst prognostiziertes Wahlergebnis bestätigt.

Keine Spur mehr von dem Sympathie-Effekt, den es in der schwedischen Geschichte schon einmal gegeben hatte. Noch zwei Jahre nach dem Mord an Olof Palme im Februar 1986 fuhren die schwedischen Sozialdemokraten einen Wahlerfolg ein, den sie ohne die Welle der Sympathie für den Politiker, der Schweden geprägt hatte wie kaum ein anderer, wohl nicht gehabt hätten. Nun ist es anders gekommen: Die Euro-Gegner haben mit 56,2 Prozent gewonnen, die Befürworter unterlagen mit 41,8 Prozent. Anders als erwartet, hat der Tod Lindhs keine Kehrtwende bewirkt.

Das Grundrecht auf eine Abstimmung dürfe nicht durch einen Gewalttäter außer Kraft gesetzt werden, hatte der sozialdemokratische Parteichef und Ministerpräsident Göran Persson seit dem Tag, an dem Anna Lindh ermordet wurde, unermüdlich erklärt. Nun muss er eine klare Niederlage einräumen. Selbst wenn das Referendum nur beratenden Charakter hatte, so Persson, fühle er sich an das Ergebnis gebunden. Es sei ein harter Schlag für die politische und wirtschaftliche Elite in Schweden, kommentiert die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter. Persson hatte sich gemeinsam mit der Industrie für einen Beitritt zur Euro-Zone stark gemacht und dabei unter anderem auf die Exportvorteile durch geringere Wechselkursrisiken verwiesen. Nach Angaben der schwedischen Regierung werde es jetzt bis 2010 dauern, bis ein neues Referendum angesetzt werden kann. Bei einem Ja könnte der Euro frühestens im Jahr 2013 eingeführt werden.

Wenn auch nicht hinsichtlich des Euro, so könnte der Mord an Anna Lindh in vielen anderen Bereichen Schweden verändern. So wird in den nächsten Wochen das Thema »Innere Sicherheit« ins Zentrum der politischen Debatten rücken. »So etwas darf nicht passieren«, sagt etwa Ulla Hoffman, die Vorsitzende der Linkspartei. »Wir hätten aus dem Mord an Olof Palme lernen müssen, aber wir waren wohl ein bisschen nachlässig.« Auch andere Politiker sprechen von »Versäumnissen« und wollen Sicherheitsfragen jetzt ganz oben auf die Agenda setzen. Die »offene Gesellschaft«, auf die viele Schweden so stolz sind, verspricht damit, noch etwas weniger offen zu werden.

Die größte Sorge der Öffentlichkeit ist dieser Tage jedoch, dass der Mord an Lindh – ähnlich wie der an Ministerpräsident Palme vor 17 Jahren – nicht aufgeklärt werden könnte. Umfragen zufolge glaubt nur jeder Zweite, dass die Ermittlungen zu einem Erfolg führen. Mit Palme einen der bedeutendsten Politiker der Nachkriegszeit verloren zu haben, ohne dass das Rätsel des Mordes je gelöst werden konnte, lastet als tief sitzendes Trauma auf der Bevölkerung.

Immer wieder ist dieser Tage daher auch von der Parallele zwischen den beiden Mordfällen die Rede. Wie Lindh war Palme ohne Leibwächter in der Stockholmer Innenstadt unterwegs. Er kam am Abend des 28. Februar 1986 mit seiner Ehefrau Lisbet aus einem Kino und wurde wenige Minuten später aus nächster Nähe erschossen.

Auch der Dilettantismus der Polizei legt eine Parallele nahe. Nach der Attacke auf Lindh wurde u.a. vergessen, den U-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt zu stoppen. Nach dem Mord an Palme riegelte die Polizei den Tatort nicht ab, eine landesweite Fahndung nach dem Täter kam erst nach Stunden in Gang und die tödliche Kugel las ein Passant von der Straße auf und übergab sie den Behörden. Die Tatwaffe wurde bis heute nicht gefunden.

Auf den zweiten Blick sind die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Fällen jedoch nicht so groß. Zwar war Lindh sehr populär, aber sie war weit davon entfernt, in die Fußstapfen des langjährigen Ministerpräsidenten Palme zu treten. Eine »ungewöhnlich gewöhnliche« Politikerin nannte sie der Dagens Nyheter. Der Messerattentäter von Stockholm hat Lindh nun jede Möglichkeit genommen, im Lauf ihrer Karriere ein bisschen ungewöhnlicher zu werden.

Sie galt als freundlich und offen und gleichzeitig als ehrgeizig und ambitioniert. Bereist mit 25 Jahren zog sie als sozialistische Abgeordnete in den Reichstag ein. 1994 wurde sie Umweltministerin, 1998 Außenministerin. Bevor sie sich in den letzten Wochen für die Einführung des Euro in ihrem Land stark machte, hatte sie sich im Nahostkonflikt engagiert, sich für eine Freilassung der US-Gefangenen auf Guantanamo Bay eingesetzt und die amerikanische Invasion im Irak kritisiert. Der Mord an ihr ist für viele Schweden jedoch vor allem deshalb so unbegreiflich, weil Lindh bei all ihren Aktivitäten nicht als umstritten galt. Während Ministerpräsident Perssons Regierungsstil von vielen als autoritär empfunden wird, erschien Lindh auch politischen Gegnern durchweg als beliebt und angenehm.

Olof Palme war da weitaus umstrittener. 16 Jahre lang amtierte er sowohl als Vorsitzender der mächtigen sozialdemokratischen Partei als auch als Regierungschef. Innenpolitisch stieß er mit seinem noch heute in der schwedischen Gesellschaft verankerten Ziel, möglichst weitgehend gesellschaftliche Gleichheit zu verwirklichen, nicht bei allen auf Zustimmung. Auch der Rüstungslobby war der Sozialdemokrat ein Dorn im Auge. Gegen Palme agierte etwa auch eine faschistische Gruppe innerhalb der Polizei, die seinen Tod noch in der Mordnacht ausgelassen gefeiert haben soll und die möglicherweise sogar in die Bluttat verstrickt war.

In der Außenpolitik beinhaltete Palmes Gleichheitsstreben Solidarität mit Unterdrückten sowie Engagement für Frieden und Abrüstung. Schweden war damals eines der Länder, die sich am frühesten und vehementesten für das Ende des südafrikanischen Apartheidregimes einsetzten. Darüber hinaus hatte Palme mehrfach stark gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag und gegen die Massaker der US-amerikanischen Streitkräfte in Vietnam protestiert.

Nicht zuletzt das südafrikanische Regime und die USA galten seinerzeit auch als seine schärfsten Gegner. Hierin ist auch die Ursache dafür zu sehen, dass sich um Palmes Ermordung eine Vielzahl von Legenden, Gerüchten und undurchsichtigen Ermittlungssträngen rankt. Einmal war es der US-Geheimdienst CIA, der den Mord an ihm in Auftrag gegeben haben soll, einmal das damalige südafrikanische Apartheidsregime, das mit rechtsextremen Kreisen in Schweden gemeinsame Sache gemacht haben soll, mal der antikommunistische Fanatiker Viktor Gunnarsson, der einen Wohnsitz in den USA und Kontakte zur CIA hatte und der in der Mordnacht am Stockholmer Tatort gesehen wurde.

Vieles deutet indes einfach darauf hin, dass der alkoholkranke Kleinkriminelle Christer Pettersson Palme erschoss. Lisbet Palme hat ihn identifiziert, der Polizei gelang es jedoch nie, dem Mann den Mord nachzuweisen. Verschwörungstheoretiker halten nichts von der Pettersson-These, ist es doch weit weniger aufregend, wenn der Ministerpräsident von einem Durchgeknallten erschossen wurde und nicht einem internationalen Komplott zum Opfer fiel.

Jungle World
Jungle World Nummer 39 vom 17.09.2003

kt / hagalil.com / 2003-09-18

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved