antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Schweden:
Rechts im Norden

Lange Zeit wurde die rechtsextreme Szene Schwedens ignoriert. Doch seit Jahren begeht sie Morde an Linken und Ausländern und verübt Brandanschläge...

Bernd Parusel, Stockholm

Für die schwedische Polizei gibt es gegenwärtig keine Hinweise darauf, dass der 35jährige Mann, der in Stockholm wegen des Verdachts, die Außenministerin Anna Lindh ermordet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt, ein Rechtsextremist sei und die ihm zur Last gelegte Tat aus politischen Motiven begangen haben könnte. Zwar berichteten mehrere Medien vor einigen Tagen über Kontakte des Mannes zu bekannten Neonazis, und die Zeitung Dagens Nyheter schrieb, er habe vor einigen Jahren eine von Einwanderern betriebene Pizzeria mit Hakenkreuzen beschmiert. Doch die Polizei bleibt vorerst dabei: Der Verdächtige sei einfach psychisch gestört.

Freilich ist im Mordfall Lindh noch nichts bewiesen. Dass der Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund so schnell wieder aus der Öffentlichkeit verschwand, ist jedoch symptomatisch für den Umgang der schwedischen Politik und der Medien mit dem Rechtsextremismus.

Bombenattentate, mehrere Morde und unzählige Brandanschläge mussten rechte Terroristen in den achtziger und neunziger Jahren begehen, bis die Öffentlichkeit sie endlich zur Kenntnis nahm. 1983 etwa wurde ein homosexueller Kellner in seiner Wohnung ermordet. Die Täter tätowierten ein Hakenkreuz in seine Brust. Drei Jahre später wurde der sozialdemokratische Ministerpräsident Olof Palme auf offener Strasse erschossen. Eine der Thesen zu dem bis heute ungeklärten Mord lautet, ein rechtsextremer Geheimbund in der Polizei habe dahinter gesteckt.

1995 kam es zu mindestens zwei Morden: Ein schwuler Eishockeyspieler und ein Flüchtling von der Elfenbeinküste wurden erstochen. Dazu kam Anfang der neunziger Jahre auch eine Serie von Brandanschlägen auf Asylbewerberheime. In dieser Zeit suchten viele Flüchtlinge aus dem vom Krieg zerrütteten ehemaligen Jugoslawien Zuflucht in Schweden. Da das Land gleichzeitig in eine wirtschaftliche Krise geriet, waren die Asylsuchenden schnell als Sündenböcke ausgemacht.

Allein 1992 wurden 79 Brandanschläge registriert. Die Öffentlichkeit wertete diese Verbrechen jedoch zumeist nicht als politisches Problem, sondern verharmloste die Täter als perspektivlose Jugendliche oder zurückgebliebene Schläger. Das Problem werde sich von selbst lösen, wenn Schweden seine Wirtschaft wieder in den Griff bekomme und die jungen Menschen wieder Vertrauen in die Zukunft setzten.

Oft wurden rechtsextreme Täter nur zaghaft ermahnt oder mit symbolischen Geldstrafen belegt. Unterdessen konnten faschistische Bands von Schweden aus fast ungehindert ihre White-Power-Musik weltweit verbreiten. Schweden gilt bis heute als eines der wichtigsten Herkunftsländer solcher Tonträger und anderer Nazipropaganda und geschichtsrevisionistischer Schriften.

Die Stiftung Expo, die rassistische und antidemokratische Gruppen beobachtet, nennt als Grund dafür, dass Schweden eines der wenigen Länder Europas sei, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine schärferen Gesetze gegen Nazis verabschiedeten. Begründet wird diese Liberalität damit, dass Schweden, anders als seine skandinavischen Nachbarn, nicht von den Deutschen besetzt worden war.

Erst im Jahr 1999 konnten die Politik und die Medien den Terror nicht mehr ignorieren. Die Gewalt der Neonazis betraf nicht mehr »nur« Homosexuelle und Flüchtlinge. Im Juni entgingen ein Journalist und sein achtjähriger Sohn nur knapp dem Tod durch eine Autobombe. Das Opfer hatte zuvor über die Aktivitäten schwedischer Nazis berichtet.

Im Oktober wurde der Gewerkschafter Björn Söderberg ermordet. Er hatte einen Kollegen als Mitglied der »Nationalsozialistischen Front« entlarvt und sich um dessen Absetzung als gewerkschaftlicher Vertrauensmann bemüht. Im selben Jahr wurden auch zwei Polizisten bei einem Banküberfall erschossen. Die Täter kamen aus dem Umkreis der »Arischen Bruderschaft«, einer der Nazi-Banden, die ihre Aktivitäten mit Banküberfällen finanzierten und sich durch Diebstähle in Polizeistationen und Militärdepots mit Waffen versorgten.

Erst nach diesen Morden, die auch im Ausland wahrgenommen wurden, schienen die Verantwortlichen in der Politik einzusehen, dass es vielleicht an der Zeit sei, eine härtere Gangart einzuschlagen. Die sozialdemokratische Regierung Göran Perssons startete eine »Erziehungs- und Informationskampagne« über den Holocaust, um die Menschen für die braune Agitation zu sensibilisieren. Im November 1999 veröffentlichten Zeitungen Fotos von mehr als 60 führenden Nazis. Einige von ihnen verloren danach ihre Arbeitsstellen. In den folgenden Jahren geriet das Thema Rechtsextremismus aber nach und nach wieder aus den Schlagzeilen.

Verschwunden ist die Szene freilich nicht. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ein Gremium des Europarats, errechnete, dass allein die Vergehen der Aufstachelung zum Rassenhass in Schweden zwischen 1999 und 2001 weiter zunahmen – von 573 beschriebenen Fällen auf zuletzt 744 pro Jahr. Gruppen wie die »Nationale Jugend« oder die »Schwedische Widerstandsbewegung« unterhalten auch Kontakte zu Rechtsextremen im Ausland. Zu dem Gedenkmarsch für Rudolf Hess im vergangenen August im bayerischen Wunsiedel reisten auch Mitglieder dieser beiden Organisationen an.

Nach wie vor verfügen die Rechtsextremisten über ein Informationsnetzwerk, in dem sie ihre Gegner mit Fotos, Adressen und Autokennzeichen erfassen. Daraus bedienen sich Rechtsextreme, wenn sie neue Angriffe planen. So wurde im November vorigen Jahres ein 24jähriger Linker in Malmö von drei vermummten Männern in ein Auto gezerrt. Mit den Worten: »Das ist eine Warnung« schnitten sie ihm einen Finger ab. Das Foto des Mannes war zuvor auf einer rechtsextremen Internetseite veröffentlicht worden.

Auf einer anderen Website hieß es nach dem Mord an Anna Lindh, die Außenministerin habe zu jenen gehört, die eine »gesetzlose multikulturelle Gesellschaft« propagierten. Die Gewalt schlage nun gegen sie zurück.

Jungle World
Jungle World Nummer 40 vom 24.09.2003

kt / hagalil.com / 2003-09-26

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved