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Judentum und Israel
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Antisemitismus:
»Wer Juden hasst, findet immer was«

Paul Chaim Eisenberg ist Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. In der vorigen Woche weilte er zu Gesprächen mit den Oberhäuptern von bosnischen Katholiken, Orthodoxen, Juden und Muslimen in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Wegen der religiösen Vielfalt und Toleranz galt Sarajevo bis zum Kriegsbeginn im Jahr 1992 als »Jerusalem des Balkan«. Doch weil während des Krieges auch afghanische, iranische und saudische Kämpfer zur Unterstützung der Regierungstruppen ins Land einsickerten, die nach dem Ende der Kämpfe blieben, taucht Bosnien heute immer häufiger als potenzielles Rekrutierungsgebiet für islamistische Gruppierungen auf. Mit Eisenberg sprach Markus Bickel. ...

Paul Chaim Eisenberg

Der türkische Bevölkerungsanteil in Wien ist sehr groß. Gab es nach den Anschlägen in Istanbul Kontakte zwischen Ihrer Gemeinde und türkischen Gruppen?

Eine sehr offene, gemäßigte Gruppe hat uns eingeladen, zum Ende des Ramadan mit ihr bei einem gemeinsamen Abendessen das Fasten zu beenden. Nach den schrecklichen Attentaten in der Türkei empfinde ich es als eine wunderbare Sache, dass Menschen anderer Religion zu einem solchen Fest eingeladen werden. Deshalb beteiligen wir uns daran auch gerne.

Seit den Anschlägen von Istanbul heißt es, dass der Konflikt mit den militanten Islamisten näher an Westeuropa heranrückt. Konnten Sie das bei Ihrem Besuch in Bosnien spüren?

Die Ähnlichkeit zwischen der Türkei und Bosnien könnte darin bestehen, dass Nationalität und Religion hier in einer gefährlichen Mischung zusammenkommen. Ich will damit nicht sagen, dass Religion etwas Gefährliches ist. Die gefährliche Mischung entsteht aber dann, wenn vermeintliche Nationalitätsprobleme mit religiösen Begründungen verbrämt werden, die es vielleicht gar nicht gibt. Wenn man Nationen und Religionen addiert, entsteht daraus immer ein gefährlicher Cocktail.

In Sarajevo ist das heute noch gut zu beobachten, auch wenn der Krieg bereits vor acht Jahren zu Ende ging. Was kann die Religion in Nachkriegsgesellschaften wie der bosnischen denn überhaupt bewirken?

Aufgabe der Religion ist es, die Menschen zum Frieden zu führen. Allerdings ist es auch sehr stark von den jeweiligen religiösen Führern abhängig, in welcher Weise sie diese Botschaft über die Bühne bringen, das heißt, was sie in ihren Predigten als Frieden definieren. Es scheint mir eine Zeit zu sein, in der der Fundamentalismus nicht nur einer, sondern aller Religionen in eine Richtung geht, die alles andere als friedlich ist. Deshalb ist es ganz wichtig, dass religiöse Häupter für Toleranz und Offenheit anderen gegenüber werben. Schließlich hören die einfachen Leute halt doch eher auf die religiösen Häupter, vor allem in einem Land wie Bosnien, wo die Politiker seit dem Krieg nur wenig Ansehen genießen.

Können Sie nach Ihren Gesprächen mit den geistlichen Köpfen von Muslimen, Orthodoxen, Katholiken und Juden hier sagen, ob aus der Geschichte gelernt wurde? Oder setzt sich die im Krieg begonnene Teilung entlang nationaler und religiöser Linien fort?

Ich glaube schon, dass aus der ja noch nicht allzu lange zurückliegenden Geschichte gelernt wurde. Man kann schon manchmal einen Fehler machen, doch wenn man das eingesehen hat, sollte man ihn nicht perpetuieren. Ganz ohne Konflikte geht es wahrscheinlich nie, aber dass das eher friedlich geprägte Leben vor dem Krieg besser war als das heutige, begreift man hier schon.

Sie sind in Sarajevo mit einer Musikgruppe aufgetreten. Ist das Teil Ihres interreligiösen Dialogs?

Ich habe die drei Musiker vor ungefähr zehn Jahren kennen gelernt, nachdem sie bereits mehrere Jahre zusammen musiziert hatten. Wir treten höchstens zwei, drei Mal im Jahr gemeinsam auf. Meistens ist es so, dass ich zu dem bisschen Singen, das ich beitrage, den Hintergrund der Lieder und der jüdischen Kultur erkläre. Diese Verbindung hat sehr oft Anklang gefunden.

Aufklärung als Entertainment?

Ja, auch wenn ich sagen muss, dass das sehr oft verwechselt wird. So sagt man mir immer wieder, dass ich so viele jüdische Witze kenne. Oft sind es aber gar keine Witze, sondern Anekdoten oder Geschichten, aus denen man etwas lernen kann. Es geht mir nicht darum, dass bei der Pointe schallend gelacht wird, sondern dass es sich dabei um Parabeln handelt. Das ist zwar Entertainment, aber auch mit ein bisschen Nachdenklichkeit, nicht ganz einfach nur ein Kabarett.

Erreichen Sie mit einem solchen Programm überhaupt diejenigen, die für Fundamentalismus und Antisemitismus anfällig sind?

Ich habe das Gefühl, dass es vor allem junge Leute sind, die die schnelle Wahrheit suchen und eine sehr klare, eindeutige Message wollen. Die Botschaft von Toleranz, also davon, dass die anderen auch etwas wert sind, klingt da auf Anhieb nicht besonders attraktiv. Dabei geht es ja gar nicht darum, dass alle Menschen einander oder die Juden lieben sollen, sondern dass wir unbefangen aufeinander zugehen können. Nach dem Holocaust ist es natürlich auch von unserer Seite schwer, zu einer solchen Unbefangenheit zurückzukehren, sodass es mir schon lieber ist, wenn einige Leute jetzt ganz besonders prononciert sagen, dass sie Anschläge wie die auf die Synagogen in Istanbul ablehnen. Aber vielleicht wird es eines Tages ja mal so sein, dass das gar keinen Belang mehr hat. Natürlich soll dann weiterhin jeder seinen Glauben leben, aber in meiner Beziehung zu einem anderen Menschen sollte die Religion eigentlich keine Rolle spielen.

Die Tendenz geht weltweit in die andere Richtung, wie der Vormarsch des militanten Islam zeigt.

Das hat natürlich schon mit dem Nahostkonflikt zu tun, denn selbst in westlichen Ländern wie Frankreich werden antisemitische Anschläge doch meist von arabischer oder muslimischer Seite verübt. Der Unterschied zwischen einem sehr, sehr orthodoxen frommen Juden aber und einem islamischen Fundamentalisten besteht eben darin, dass der sehr, sehr orthodoxe Jude so orthodox sein möchte, wie er ist, und vielleicht noch seine Kinder in dieser Weise erziehen will. Der Fundamentalist aber ist darüber böse, dass die anderen nicht auch so denken wie er, und will ihnen deshalb seinen Glauben aufzwingen. Wenn sich eine solche Haltung mit Politik mischt, führt das zu einem politischen Zwang zur Religion, der beispielsweise Strafen für Frauen vorsieht, die unverschleiert gehen. Dann hebt sich das Positive der Religion auf.

Und der Antisemitismus wächst weiter?

Im Laufe der Zeit hat sich bei mir und auch bei anderen der Gedanke durchgesetzt, dass Antisemiten gar keine Erklärung brauchen, um Antisemiten zu sein. Der deutsche Bundestagsabgeordnete Hohmann hat doch jetzt erst wieder das alte antisemitische Klischee von den bolschewistischen Juden in der Sowjetunion herausgekramt. Wahr ist, dass es sowohl reiche Juden wie kommunistische Juden gab, und unter beiden Gruppen auch solche, die nicht gerade ein Vorbild waren. Wenn man Juden nicht mögen will, wird man schon irgendeinen Grund finden, warum man sie nicht mag. Rational erklären lässt sich das nur selten.

Wenn es keine Begründung des Antisemitismus gibt, wie kann dann Aufklärung eine wirksame Strategie dagegen sein?

Wir wollen die Jugend aufklären, weil wir immer noch davon ausgehen, dass ein so gewaltiger Prozentsatz von Antisemiten gar nicht da ist. Und ein verschworener Antisemit wird sich durch Argumente ohnehin nicht beeinflussen lassen. Wir müssen aber aufpassen, dass nicht er seine angeblichen Argumente an andere weitergibt, sondern dass wir unsere Argumente vermitteln.

Jungle World
Jungle World Nummer 49 vom 26.11.2003

kt / hagalil.com / 2003-11-26

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