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Coco Schumann:
»Klar hatte ich richtige Groupies«

Der »Ghettoswinger« berichtet über den Swing, über Dachau und Auschwitz und über sein wildes Leben in den Dreißigern und Fünfzigern. Ein Besuch bei Coco Schumann...

Silke Kettelhake

In den dreißiger Jahren steckte Heinz Jakob Schumann seinen Judenstern in die Tasche und spielte weiter: Swing. Er wurde deportiert und musizierte in den Lagerbands von Theresienstadt, Auschwitz und Dachau auf der Gitarre um sein Überleben. Er kam zurück. Und spielt noch heute: Swing.

Coco Schumann sitzt in seinem kleinen Studio in seiner Wohnung zwischen Fotos und Konzertankündigungen, im Schrank stehen Lackschuhe. Die kann der beinahe 80jährige »Ghetto-Swinger« heute nicht mehr tragen, das wäre zu ungesund, die neue Hüfte zwackt. »Ich bin ein großer Schuhliebhaber. Während des Krieges und danach gab’s ja nichts zu kaufen. Aber Budapester Schuhe vom Kurfürstendamm, das musste sein«, sagt Coco, der so heißt, seit sich eine französische Freundin beim Aussprechen von »Heinz« fast die Zunge brach. Auf einem der vielen Schwarz-Weiß-Fotos an der Wand posiert der kleine Mann in seiner ganzen Eleganz zusammen mit seiner Band auf einem Kreuzfahrtschiff. Sein Aussehen war und ist dem Swing-Boy eben wichtig: »Ich hatte immer Maßanzüge, für meine Figur gab’s ja nichts von der Stange, nur den modischen Ausschuss. Weiße Anzüge habe ich sehr gerne getragen. Jetzt ziehen wir diese betressten Blazer an, im Kapitänslook. Nicht zu vornehm, sportlich-elegant … Kleidung muss immer sitzen, gute Schuhe müssen sein.«

Regelmäßig tritt Coco Schumann mit seinen Jungs auf. Getanzt wird leider jetzt viel zu selten auf seinen Konzerten, findet er. »Count Basie hat mal gesagt, wenn die Leute nicht mehr tanzen, dann stimmt was nicht mit meiner Musik.« Aber keine Bange, Coco, die Musik stimmt schon.

Die Clubszene von heute gefällt ihm nicht mehr so unbedingt. Doch Coco hat versucht, sich ihr anzupassen: »Wenn die Leute anfangen zu schreien, dann werde ich immer leiser. Der Trick hat schon immer funktioniert.« Trotzdem, Fans hat er heute immer noch viele, und auch einige Groupies – Coco musste schon Autogramme auf nackte Damenhintern schreiben. »Während und nach dem Krieg war da natürlich die Stimmung eine ganz andere«, erinnert sich Coco, »klar hatte ich richtige Groupies! Das war schön, unten saßen manchmal zwei, drei Mädels und haben auf mich gewartet.«

»Das ist die Dagmar!«

Schwupps, und schon wieselt er wieder die Treppe hinunter, um Fotos zu holen. »Das ist die Dagmar!«, sagt er begeistert und ein wenig außer Atem. Ein Mädchen mit hohen Wangenknochen, Fifties-Frisur und Schalk in den Augen strahlt vom Foto. Ab und zu telefonieren die beiden, Coco Schumann, der einen großartigen Stripper-Blues komponiert hat, und Dagmar, die von der Barfrau übers Nummerngirl zur Nachtclubtänzerin avancierte. Die blauen Augen des Profigitarristen blitzen bei der Erinnerung an die Stripteasemädchen im Nachkriegsberlin auf: »Ach i wo, Striptease war ja nicht unanständig! Einen guten Striptease hinzulegen, das ist schon eine Kunst! Die eine, die hatte so lange Beene, die hörten gar nicht mehr auf. Die Dagmar war ein nettes Mädchen. ›Da kommt der Carlo Ponti mit der Sophia Loren‹ haben die Leute immer gesagt, wenn wir Arm in Arm morgens nach der Arbeit ein flüssiges Frühstück einnahmen.«

Schöne Vorstellung, wie der kleine Coco damals mit seinem großen Gitarrenkoffer und den Mädels durch die Trümmerhaufen in die nächste Bar gestiegen ist. Coco Schumann hat es krachen lassen, so viel steht fest. Und anbrennen ließ er sowieso nichts. Coco ruft: »Damals, da war hier in Berlin die Luft elektrisiert! Unsere Musik, die war so was von in, die wurde in den Kellern überall gespielt! Und Stripteasetänzerin, das war ein richtiger Beruf, so was musste man richtig können.« Die Leute wollten endlich leben, nach dem Krieg, Heimatfilm und Wirtschaftswunder gab’s noch nicht: »Nach dieser schrecklichen Zeit waren auch die, die nicht solch schreckliche Dinge erlebt haben wie ich, sehr gebeutelt.« Coco Schumann spricht nicht gerne über die Zeit in den Lagern, lieber zurrt er aus der untersten Schublade noch schnell eine Konzertankündigung, als ob er dadurch seine Besucherin vom Grauen ablenken wollte, und dies gelingt ihm auch ziemlich gut: »Bombenalarm, Luftschutzkeller, raus auf die Straße, und alles war weg und hat gebrannt, das war schon eine schlimme Zeit.« Zwischen dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion am 21. August 1941 und dem verheerenden Ende des Krieges hatte in Berlin keiner mehr das Tanzbein geschwungen.

»Als ich nach Berlin zurückkehrte, da war ja nichts mehr vorhanden, es fuhr keine Straßenbahn, nichts, alles ein einziger Trümmerhaufen«, sagt Coco Schumann. Doch für den damals gerade 21jährigen fing jetzt das Leben erst richtig an: »Aus den Trümmern hörte ich an der Uhlandstraße Musik klingen. Nichts wie rein da! Das ist meine Musik! Meine Freunde und Kollegen in der Ronny-Bar, die dachten, sie sehen einen Geist. Wir hatten alle Tränen in den Augen. Ich spielte einfach wieder weiter. Meine Mutter hatte meinen Smoking durch den Bombenhagel gerettet, im Kinderwagen meines kleinen Bruders versteckt.« Jazz, Swing, Bebop, das gefiel auch den Alliierten, bei den Amerikanern spielten sie um Zigaretten, bei den Russen lernten sie, Wodka zu schütten, ohne sich zu verspielen.

»Ich und Marlene Dietrich«

Stillsitzen, das konnte er wohl noch nie besonders gut. Schon kramt er wieder nach der Speisekarte vom »Studio 22«, auf der so wundersame Dinge wie Ochsenmaulsalat oder die Dose Ölsardinen mit Brot für zwei Mark angeboten wurden. »Das war dann die Grundlage. Trinkfest war ich schon immer, schon als Teenager. Als Musiker, der jede Nacht unterwegs ist, musst du das sein«, meint Coco trocken. »Nach dem Krieg ging es hier richtig los. Alles, was es an amerikanischen Superstars gab, war hier in Berlin, ich bin mit Ella Fitzgerald und Marlene Dietrich zusammen aufgetreten! Wenn man als Musiker diese Namen gehört hat, dann hat man erst mal die Luft angehalten. Nach dem Auftritt wollten die Stars dann natürlich nicht im Hotel bleiben, die sind dann zu uns gekommen ins Studio 22, da war immer noch was los, und das ging dann bis morgen früh.«

Wie die Deutschen die Dietrich nach dem Krieg behandelt haben, das hat ihm gar nicht gefallen. Neben den Konzerten besuchte Marlene Dietrich ihre kranke Mutter in Berlin. Der Empfang, den die deutsche Presse und die Berliner ihr bereiteten, war von hasserfüllter Häme getragen, sie war und blieb die »Verräterin« der »Volksdeutschen«, die am liebsten immer noch die alten Landsersongs intoniert hätten.

»Ich juble, dass ich rausgekommen bin!«

Die Erinnerungen lassen Coco Schumann bis heute nicht los, die Erinnerungen an die Augen derer, die ins Gas gingen, während er und seine Lagerband »La Paloma olé« intonieren mussten. Deswegen stieß ihm auch die immergute Laune der kommenden Wirtschaftswunderjahre mehr als sauer auf. Doch es gab auch etwas Gutes nach dem Krieg: »Ich konnte wieder meine Musik machen. Das war für mich wie ein Wunder.« Eigentlich lief für Coco ab 1946 so langsam alles bestens, er tat sich um in den Berliner Bars, spielte wieder mit dem berühmten Geiger Helmut Zacharias, seinem langjährigen engen Freund, alles war wieder ein wenig wie vor dem Krieg. »Das ›Femina‹ war ein heißer Laden in der Nürnberger Straße. Heute sitzt da das Finanzamt oder sonst was Langweiliges. Da haben wir gespielt, da war was los! Paulchen Kuhn trat hier zusammen mit Freddy Brocksiper auf, Gene Krupa hieß er auch, der war Schlagzeuger in Goebbels’ Lieblingsband.«

Coco Schumann spielte »La Paloma olé« nun für inzwischen satte, reiche Nachkriegsgewinnler in den großen Hotelbars. Irgendwann ging jedoch nichts mehr für den geborenen Musiker, man schien ihn nicht mehr sehen zu wollen. »Die gute Laune wollte ich mir dadurch nicht verderben lassen. Dann hätten die Nazis im Nachhinein ja gewonnen. Mein Motto ist bis heute: Ich jammere nicht, dass ich drin war, ich juble, dass ich rausgekommen bin!«

»Ich wurde der SS überstellt. Das war’s dann.«

Trotzdem, Deutschland bekam ihm und seiner Frau Gertraud immer weniger. Sie hat Theresienstadt überlebt. »Klar, das verbindet, da ist mehr Verständnis füreinander da«, sagt Coco Schumann. »Irgendwann war hier die ›gute Laune‹ hin. Uns ist vieles sauer aufgestoßen.« Die beiden gingen in Australien auf Glücksuche. Doch sie kehrten wieder nach Deutschland zurück; das Unbehagen aber blieb. Im Alter von mehr als sechzig Jahren wagte sich Coco Schumann dann an die Aufarbeitung seines Lebens, als 1986 der Journalist Paul Karalus einen Film über ihn drehte. Theresienstadt, Auschwitz, Dachau – diese harmlosen Ortsnamen bedeuten das Grauen, da braucht man doch eigentlich nichts hinzufügen, dachte er sich damals. Hatte Coco Schumann deswegen so lange geschwiegen? Viele verschiedene Gründe waren es, die ihn dazu bewogen haben, in einem Land, das unter der Adenauerschen Parole »Keine Experimente« den Weg in die Zukunft antrat, Freunde und Kollegen nicht mit seiner Geschichte zu konfrontieren.

Noch heute windet sich Coco Schumann ein wenig vor der Frage, was denn nach seiner Verhaftung im März 1943 geschah: »Im ersten Moment, da dachte ich nur: ›Scheiße‹. Mein Vater kam mit mir zum Alexanderplatz, da war die Kriminalpolizei. Dort wurde ich verurteilt, aufgrund von Rassenschande. Justiz gab es nicht mehr, ich wurde der SS überstellt. Das war’s dann. Mein Vater hatte nach meiner Verhaftung die Gitarre aus der Rosita-Bar geholt und sie während der schrecklichen Zeit verwahren können.«

»Die Evelyn Künneke, war die früher ein Feger!«

Ihm reicht’s langsam. Genug erzählt. Hat denn die Besucherin sein Buch nicht gelesen? Hat sie. Hat sie denn die Filme mit und über ihn nicht gesehen? Hat sie tatsächlich nicht. Also rücken wir rüber ins Wohnzimmer, vor die dicke Glotze. Coco hantiert geschickt mit den vielen topmodernen Fernbedienungen. Kassette rein, Lautstärke regeln, und da fragt seine Besucherin auch schon wieder, wie man die Hoffnung im KZ-Alltag aufrechterhielt. Er seufzt: »Da mussteste einfach durch. Ich hab’ überhaupt nicht weiter gedacht, nur, wie überlebe ich die nächsten Stunden. Als wir im KZ ankamen, hatten sie gerade die alte Band vergast. In dem Moment, wo alles nach Tod riecht, nach verbranntem Fleisch, da ist sich jeder selbst der nächste. Und ich habe letztlich einfach unglaubliches Glück gehabt.«

Die neugierige Fragestellerin soll sich endlich entspannen, das scheint ihr Coco mitteilen zu wollen. Also: Film ab. In »Coco, der Ghettoswinger« von Paul Karalus sehen wir irgendwann eine Szene im luxuriösen Haus von Helmut und Hella Zacharias am Lago Maggiore in der Schweiz. Coco, Helmut und Hella sitzen auf der hellen Couchgarnitur und Coco erzählt seinen engsten Freunden von seinen schweren Tagen, Wochen, Monaten, Jahren. Hella sagt: »Das haben wir ja gar nicht gewusst«, und spielt ein wenig hilflos mit ihrem Glas. Daraufhin gucken wir uns doch lieber eine Kassette von einer Galaaufzeichnung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an, in der Coco Schumann und Helmut Zacharias vor ausgewähltem deutschem Showpublikum (»ja, da sitzt die Evelyn Künneke, war die früher ein Feger!«) ihre Faxen machen. So wie früher im legendären »Groschenkeller«, als die beiden während des heißesten Swings, von einem Takt zum anderen, umschwenkten, wenn eine Nazistreife im Anmarsch war. Da wurde aus »You can’t stop me from dreaming« ganz schnell das schunkelselige »Rosamunde«. Im »Groschenkeller« kamen sie damals alle zusammen, Nazis und Linke, denn alle wollten nur eins: den Swing hören. Hier verkehrte Norbert Schultze, der nicht nur das berühmte Soldatenlied »Lilli Marleen« komponiert hatte, sondern auch stramme Durchhaltelieder wie »Bomben auf Engeland«. »Die Stimmung im Groschenkeller, die war enorm«, schwärmt Coco noch heute, »draußen war Verdunkelung, aber im Keller, da kamen unglaublich viele Menschen zusammen. Dort saßen Bierkutscher neben bekannten Filmschauspielerinnen, wie Hannelore Schroth eine war. Es war ein ganz gemischtes Publikum dort unten, Abenteurer und schöne Frauen, eine wunderbare Mischung. Franz Jung, der linke Verleger und Utopist, war auch da, der war offen für alles. Aber um Mitternacht war Schluss.«

»Man musste sich benehmen, um eine Tante aufzureißen.«

War früher also vielleicht sogar manches besser als heute? Coco Schumann, das Gegenteil eines rückwärtsgewandten Rentners, antwortet: »Es war einfach anders, heute ist doch das Feiern bei den jungen Leuten ein Krampf. Wenn ich mir die Bilder von der Love Parade im Fernsehen ansehe, die können doch gar nicht mehr richtig selber feiern, die brauchen doch alle Ecstasy. Ich bin objektiv genug, ich hab’ keine Sause ausgelassen. Heute kommt mir das alles ein bisschen künstlich vor. Früher, da musste man elegant sein und Benehmen an den Tag legen, wenn man eine Tante aufreißen wollte.«

»Die Süßigkeit des Vergessens«, so wurde der legendäre Tanzpalast Delphi auch genannt. Hier packte Coco der Swing und ließ ihn nicht mehr los. Er meint: »Es war ja Sommer! Mit dreizehn Jahren saß ich vor dem Delphi, die Musiker spielten draußen auf der Terrasse Swingmusik, die Leute tanzten wie verrückt und die Sterne blinkten. Seitdem bin ich der Musik, dem Swing, verfallen. Damals, vor dem Krieg, und auch noch kurze Zeit nach Kriegsende, da war Berlin wie Hollywood. Das hat es nachher nicht mehr gegeben, nicht diesen Glanz. Denn die meisten von denen, die für die Atmosphäre damals sorgten, sind emigriert. Alle, die konnten, sind aus Deutschland raus und haben in Amerika Karriere gemacht. Das merkt man Berlin heute noch an. Das kommt nicht wieder.«

Jungle World
Jungle World Nummer 52 vom 17.12.2003

kt / hagalil.com / 2003-12-17

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