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Frankreich:
Die Macht des kleineren Übels

Linke Opposition und Rechtsextreme gewannen die erste Runde der französischen Regionalwahlen. Ein Warnsignal an die konservative Regierung...

Bernhard Schmid, Paris

Das hatten die französischen Wähler in allen Umfragen angekündigt: Bei den Regionalwahlen wollten sie »Protest wählen«. Und das haben sie bei der ersten Wahlrunde am vergangenen Sonntag gemacht. Abgestraft wurden dabei insbesondere die Regierungsparteien, die konservative UMP und die christdemokratische UDF.

Gewonnen haben letztlich die etablierten Linksparteien, von den Sozialdemokraten über die Grünen bis zur Kommunistischen Partei. Sie erhielten zusammen landesweit 40 Prozent der Stimmen, gegenüber knapp 34 Prozent für die bürgerliche Rechte.

Bislang regierten Konservativ-Liberale 14 französische Regionen und die Sozialdemokraten die übrigen acht. Die sozialdemokratisch geführte Linkskoalition wird voraussichtlich bei der Stichwahl am kommenden Sonntag rund ein halbes Dutzend bisher konservativ geführter Regionen übernehmen.

Dabei dürfte es sich weniger um eine uneingeschränkte Zustimmung zu diesen Parteien handeln, denn diese waren vor zwei Jahren bei den Präsidentschaftswahlen für ihre damalige fünfjährige Regierungsbilanz sanktioniert worden. Wohl aber handelt es sich um ein Warnsignal an die jetzige Regierung, die den Abbau sozialer und rechtsstaatlicher Standards in beschleunigtem Tempo vorangetrieben hat.

In den letzten Tagen vor der Wahl war die Frage aufgeworfen worden, welche Auswirkungen die Terrorwarnungen auf ihren Ausgang haben würden. So gab es Ankündigungen einer bis dato unbekannten islamistischen Gruppe, der »Diener Allahs des Mächtigen und Weisen«, Frankreich wegen des Kopftuchverbots zu bestrafen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Trittbrettfahrer, welche die hohe Aufmerksamkeit nach den Bombenexplosionen von Madrid ausnutzten.

Hinzu kommen die bislang mysteriösen Erpresser, die seit Wochen mit Anschlägen auf das französische Eisenbahnnetz drohen, falls ihnen nicht die Summe von vier Millionen Dollar und einer Million Euro überreicht werde. Vor vier Wochen wurde tatsächlich ein Sprengsatz auf einem Bahngleis im westfranzösischen Limousin gefunden. Die Erpressergruppe handelt wohl aus rein kriminellen Motiven. Die Behörden ermitteln derzeit im Milieu ehemaliger Militärs, die Sprengstoffkenntnisse besitzen, und in Kreisen »verrückter Sektierer«. Bisher allerdings erfolglos.

Allem Anschein nach hat die Terrorangst aber am Sonntag wenig Einfluss auf den Wahlausgang genommen, anders als in der Vorwoche in Spanien. Dabei gleichen sich die Voraussetzungen aber nicht. Denn in der französischen Debatte lässt sich kein Zusammenhang mit umstrittenen außenpolitischen Akten der eigenen Regierung herstellen, wie auch die Verbindung zum Irakkrieg keine Rolle spielt.

Frankreich selbst ist in jüngerer Vergangenheit bereits mehrfach zum Ziel von Terroranschlägen auf die Zivilbevölkerung geworden. Im Sommer und Herbst 1995 kam es zu einer Serie von Attentaten auf Metro- und Vorortzüge. Dahinter steckten kleine Gruppen von Immigrantenjugendlichen, die vor dem Hintergrund der Krise der Banlieues entstanden waren. Sie waren mit bewaffneten islamistischen Gruppen aus dem algerischen Bürgerkrieg, die Frankreich als ehemalige Kolonialmacht im Visier hatten, in Verbindung getreten.

Deswegen wird das Anschlagsrisiko in Frankreich nicht so sehr mit der Irakpolitik in Verbindung gebracht. Vielmehr wird es als eine Frage der inneren Sicherheit behandelt. Zunächst versuchte die Regierung, es parteipolitisch auszunutzen, um ihr Law-and-Order-Profil zu schärfen. Nachdem die spanische Aznar-Regierung wegen ihrer plumpen Instrumentalisierung des Terrorthemas bestraft worden war, zogen die französischen Konservativen es vor, den Konsens zwischen den staatstragenden Parteien zu suchen. In der Parlamentsdebatte gingen sie auf die Sozialdemokraten zu.

Befürchtet wurde aber, dass die Terrorangst der extremen Rechten zugute kommen könnte. Diese erhielt am Sonntag knapp 17 Prozent der Stimmen, davon 15 Prozent der Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen. Damit schnitt die extreme Rechte aber nicht besser ab, als es seit Monaten erwartet worden war. Vielmehr blieb sie sogar hinter den Vorhersagen mancher Beobachter zurück. Sie wird fast überall in der Stichwahl präsent sein, hat aber keinerlei Chancen, eine Regionalregierung zu übernehmen.

Viele Artikel, etwa ein Bericht des konservativen Wochenmagazins Le Point, hatten der Stimmabgabe für die extreme Rechte vorab eine Rationalisierung verliehen: Die Wähler des FN stimmten gar nicht so sehr für einen rassistischen und autoritären Kandidaten, sondern vor allem für den, der angeblich den etablierten Politikern den größten Schrecken einjagen könne. Freilich haben manche Zeitungen so diesen pervertierten »Protest« von vornherein entschuldigt.

Dass die extreme Rechte ihren Schatten bereits im Vorfeld auf die Wahl warf, hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass auf der Linken das Motto von der Wahl des »kleineren Übels« Wirkung entfaltete. Das schadete der radikalen Linken, die vor allem mit den gemeinsamen Listen der eher undogmatischen Ligue Communiste Révolutionnaire und der traditionalistischen Lutte Ouvrière präsent war. Ihnen waren im Vorfeld durchschnittlich rund sieben Prozent der Stimmen prognostiziert worden. Am Ende des Wahlabends waren es dann landesweit nur knapp fünf Prozent.

Zu den Gewinnern zählt zweifellos die Kommunistische Partei. Sie hatte bei der Präsidentschaftswahl 2002 ihr historisches Rekordtief erreicht, was eine Quittung für ihre fünfjährige Regierungsbeteiligung darstellte. Dieses Mal erprobte sie unterschiedliche Strategien. In zwei Dritteln der Regionen präsentierte sie keine eigenen Listen, sondern unterstützte jene von Sozialdemokraten und Grünen. In anderen Fällen trat sie mit reinen Parteilisten an, was in der nordfranzösischen Picardie mit stattlichen 16,6 Prozent bedacht wurde. Spitzenkandidat war hier Maxime Gremetz, der eher für seine sowjetischen Nostalgien als für vorwärts weisende linke Ideen bekannt wurde. In der Hauptstadtregion Ile-de-France dagegen trat die Parteichefin und frühere Sportministerin, Marie-George Buffet, mit einer gemischten Liste an, auf der neben KP-Funktionären auch Vertreter von sozialen Bewegungen und Initiativen kandidierten. Diese »Gauche populaire et citoyenne« konnte mit sieben Prozent die radikale Linke, die vier Prozent erhielt, wider Erwarten hinter sich lassen.

In Paris wird nach der erwarteten Wahlniederlage der Konservativen jetzt mit einer Regierungsumbildung gerechnet. Gleichzeitig kündigten alle Spitzenpolitiker am Sonntag und Montag an, der »Reformkurs« werde fortgesetzt.

Jungle World
Jungle World Nummer 14 vom 24.03.2004

kt / hagalil.com / 2004-03-24

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