Auf 1.433 Fotos
konfrontierte die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941
bis 1944" die Besucher mit den Tätern in Wehrmachtsgrau. Knapp vier Jahre
später, 1999, zog das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) die
Ausstellung, welche die Legende von der "sauberen Wehrmacht" zerstörte, zurück.
Etwa 20 Bilder hatten die Historiker um Hannes Heer falsch zugeordnet. Als
Leiter des HIS untersagte Jan Philipp Reemtsma den Autoren "jede öffentliche
Stellungnahme". In seinem neuen Buch kritisiert Heer das Konzept der neuen
Ausstellung, denn sie bette sich in den momentanen Geschichtsdiskurs "Taten ohne
Täter" ein.
taz: Das
Bildergenre der privaten Landserfotos fehlt in der aktuellen Ausstellung, nicht
aber die Bilder von Hinrichtungen. Dennoch betonen Sie, durch dieses "nicht mehr
Zeigen" der Landserfotos seien die Täter verschwunden.
Hannes Heer: Das
Erscheinen dieses Genres der Privatfotos bezeichnet in der Erinnerungskultur
eine Zäsur. Neben dem Holocaust in den Vernichtungslagern, der seltsam bildlos
wie ein metaphysisches Geschehen begriffen wurde, taucht jetzt der Holocaust auf
freiem Feld auf, in den besetzten Gebieten der Sowjetunion - mit den Fotos von
Tätern und Opfern. Indem die neue Ausstellung diese Fotos, von denen Millionen
in den privaten Fotoalben der Soldaten aufbewahrt wurden, als unsichere Quelle
aussortiert, kehrt sie zu einer Geschichte der Wehrmacht und der darin
verantwortlichen Eliten zurück, über die sie bereits hinaus war.
Die Brisanz der von
Ihnen konzipierten Ausstellung lag in der Darstellung der potenziellen
Verbrechen von Jedermanns Vater, Bruder oder Onkel ...
Das ist ja eine
sehr zutreffende Formulierung von Herrn Reemtsma gewesen, als er noch hinter
dieser Ausstellung stand: Mit den Verbrechen des Jedermann sind die Taten von
Millionen ganz normaler Deutscher gemeint. In der neuen Ausstellung tauchen
stattdessen als Verantwortliche nur ein paar hundert Generäle auf. So
verschwindet die Nähe der bewaffneten Volksgemeinschaft zum Völkermord.
Sie unterstellen,
dass die "Fusion von Volk und Führer" ausgeblendet würde.
Dass die Wehrmacht
an den genozidalen Verbrechen beteiligt war, hatten schon die Nürnberger
Prozesse und später exakter die kritische Militärgeschichte gezeigt. Das
Provokante an unserer Ausstellung war erstens die These: Dass die Stunde eins
des Holocaust in den besetzten Gebieten begonnen hatte, und, dass die Wehrmacht
in arbeitsteiliger Weise an diesem Mord beteiligt war. Und zweitens der
Nachweis, dass sich nicht nur fanatische Nazioffiziere, sondern auch die Truppe
an dem massenhaften Mord beteiligte. Insofern warfen wir die Frage nach der
Mentalität der Soldaten auf. Die mittlerweile von der Forschung erhärtete und
differenzierte Antwort war, dass Antisemitismus und Antibolschewismus - also ein
sehr rabiater Rassismus - den Völkermord möglich gemacht haben.
"Die These steht",
betont Reemtsma.
Die These, dass die
Wehrmacht Verbrechen begangen hat, ja. Aber die eben erwähnten weitergehenden
Thesen sind nicht mehr zu finden. Offensichtlich ging es dem HIS nur darum, die
nationalkonservative Kritikermeute um Horst Möller, Peter Gauweiler und so
weiter still zu stellen. Da geht es nicht mehr um Wissenschaft, da geht es um
Politik.
Das klingt nach
persönlicher Abrechnung.
In meinem Buch geht
es nicht um eine Abrechnung mit Herrn Reemstma, der taucht gerade mal in einem
Kapitel auf. Es geht vielmehr darum zu zeigen, wie sich durch die ganze
Geschichte der Bundesrepublik das Bemühen hindurchzieht, statt die wirkliche
Vergangenheit zu akzeptieren, sich eine passende Vergangenheit zu konstruieren.
Dazu gehört, die Täter zum Verschwinden zu bringen. Gerade in den jüngst
erscheinenden Familienromanen gehen Töchter und Enkel einen fiktiven Dialog mit
ihrem Vater oder Großvater ein, um eine Versöhnung herzustellen, die von dem
Wunsch ausgeht, das Geschehene ungeschehen zu machen.
Uwe Timms "Am
Beispiel meines Bruders" läuft diesem Rollback entgegen ...
Natürlich gibt es
Gegenbeispiele. Aber schauen Sie sich an, wie Jörg Friedrichs Buch "Der Brand"
in den Feuilletons bewertet worden ist. Es ist alarmierend: die direkten
Analogien zwischen dem Bombenkrieg gegen die Deutschen und dem Holocaust an den
jüdischen Mitbürgern werden gerade mal als sprachliche Entgleisung erwähnt.
Alles
Revisionisten, außer mir! So fassen Kritiker ihre Position zusammen.
Das ist der
Versuch, mich in eine bestimmte rechthaberische Ecke zu schieben. In meinem Buch
gehe ich mit dem Vorwurf des Revisionismus vorsichtig um. Aber Jörg Friedrich
bezeichne ich als Revisionisten. Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter,
Aufbau-Verlag, 2004, 395 Seiten, 22.90 Euro; die Wehrmachtsausstellung ist noch
bis morgen auf Kampnagel zu sehen
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