antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Erster Weltkrieg:
Außer Prothesen nichts gewesen

Die Ausstellung »Der Weltkrieg 1914–1918« im Deutschen Historischen Museum...

Jürgen Kiontke

Erwartungsvoll stimmt, dass das Rahmenprogramm zur Ausstellung eine Fülle von Attraktionen bietet. Neben einer reichen Filmauswahl werden so in fünf ›Langen Nächten‹ unter dem Motto ›Achtung, Achtung! Hier spricht der Krieg‹ von prominenten Schauspielern szenische Text-Klang-Collagen aufgeführt, die aus der internationalen Kunst und Literatur entstehen. (›Märkische Oderzeitung,‹ 12. Mai 2004)

Der britische Premierminister David Lloyd George schreibt am 23. Dezember 1920: »Je mehr Memoiren und Bücher man über die Begebenheiten vor dem 1. August 1914 liest, desto mehr begreift man, dass niemand an leitender Stelle zu jener Zeit den Krieg geradezu gewollt hat.« Dieses Zitat ziert den Komplex »Kriegsschuld« in der kürzlich eröffneten Ausstellung »Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung« des Berliner Deutschen Historischen Museums, dessen Verantwortliche es sich zur Aufgabe gemacht haben, in den Köpfen der Besucher ein Bild des ungewollten Krieges fassbar zu machen.

Andere haben das Thema Kriegsschuld eindeutiger beurteilt: »Dieser Krieg ist das größte Verbrechen gegen die Menschheit, das jemals verübt worden ist. Die hieran Schuldigen (Österreich-Ungarn und Deutschland) tragen eine furchtbare Verantwortung, und gegenwärtig sind sie schon hinreichend entlarvt« (Sergej Sasonow, russischer Außenminister, am 22. Februar 1916). Einige der Angesprochenen schienen das damals genauso zu sehen: »Mit dem Augenblick, wo der moralische Aufputz der Strafjustiz aus dem Friedensdokument (der Versailler Vertrag, J.K.) entfernt wird, ist es in einem gewissen Umfange für Deutschland erträglich. Dass wir als Besiegte Opfer bringen müssen an Macht und Gut, sehen wir ein«, wie Ulrich von Brockdorff-Rantzau, der deutsche Außenminister, am 30. Mai 1919 sagt. Um anschließend den deutschen Grundsatz zu formulieren: »Als Verbrecher unsere Versetzung in die zweite Klasse des Nationenstandes zu unterschreiben, lehnen wir ab.«

So bleibt alles offen: Selbst 90 Jahre nach Kriegsende ist die Schuldfrage in deutschen Ausstellungen nicht geklärt.

Wie ungewollt war der Krieg? Wie gewollter Krieg daherkommt, erleben wir derzeit: Mord als bildhaft zynisches, pornophiles Spektakel. War es früher für die kriegsführenden Parteien noch ein Problem, wenn sie beim Schlachten gesehen wurden, ist dies nun zur Form der Kriegsführung selbst geworden. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, so Carl von Clausewitz.

Wie die Politik funktioniert auch der Krieg über das Bild. Alle Sinne konzentrieren sich auf das Auge, so haben es die Killerfilme »Henry – Portrait of A Serial Killer« und »Natural Born Killers« infolge der von den USA verlorenen Bildschlacht um Vietnam prognostiziert. Die dort agierenden Massenmörder führen das Instrument Videokamera in das Töten ein. Die Gegner schieben sich CD-Roms und Videobotschaften zu. Mit dem Bild scheinen die »anderen Mittel« des preußischen Kriegstheoretikers nicht mehr wichtig zu sein: Das Medium ist umfassend und steuert alles andere.

Der Zweck heiligt die Mittel, lautet eine andere Kriegsweisheit. Was aber, wenn die Zwecke abhanden gekommen bzw. gar nicht vorhanden sind? Nützt hier ein historischer Rückblick auf die Ursprünge der modernen Schlachtordnung? Vielleicht kam der Krieg direkt aus der Produktionsweise: Eine industrielle Verselbstständigung des Krieges wurde bereits im Deutsch-Französischen Krieg 1870-71 ausgemacht. Zur Sache ging es dann mit dem Ersten Weltkrieg. Mit ihm assoziieren wir Massen von Männern, die sich in matschigen Schützengräben zu Tausenden umbringen.

Es gab andere Ausstellungen, die den Ersten Weltkrieg sehr aussagekräftig als heißen Frieden definierten. 1995 zeigte das Dresdner Hygienemuseum in einer Ausstellung über die Entwicklung der Kardiologie eine Vielzahl von Herzen, die allesamt von jungen Männern stammten und alle von Patronen durchlöchert waren. Die große Zahl »junger« Organe, die durch die Kampfhandlungen in medizinischen Instituten landeten, brachten einen unglaublichen Fortschritt auf dem Gebiet der Kardiologie, hieß es im Kommentar.

Eine andere Ausstellung zeigte Fotos von deformierten Gesichtern, denen Nase, Unter- oder Oberkiefer fehlten. Die Technik hatte Fortschritte gemacht, und hier konnte man sie betrachten.

»Was ist aus diesen Männern geworden?« fragt sich Hans Ottomeyer, Leiter des Deutschen Historischen Museums. »Das wollten wir herausfinden.« Fakten gibt es am Computer-Terminal.

Gewollt oder ungewollt – der eine wie der andere Krieg produziert seine Bilder. Mord als bildhaft zynisches, pornophiles Spektakel: »Der Weltkrieg 1914-1918« unter Ottomeyers Ägide könnte ein bildhafter Kommentar zur EU-Osterweiterung sein. Betont wird, dass man einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzungen im Osten legen wollte – um die neu hinzugekommenen Länder daran zu erinnern, dass Europa bedeutet: Deutschland schlägt dem Rest den Schädel ein. Aber das wäre zynisch. Gewollt. Die Frage nach den Männern bleibt unbeantwortet.

Der Erste Weltkrieg sei in der Erinnerung der Deutschen weit zurückgetreten und werde verdeckt durch die noch größere Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, so Ottomeyer. Doch in anderen Ländern Europas sei er in der nationalen Erinnerung lebendig geblieben. Die jetzige Ausstellung reihe sich darüber hinaus ein in das umfassendere Programm zur Auseinandersetzung mit Themenkreisen von zentraler politischer Bedeutung und elementarem gesellschaftlichen Stellenwert. Holocaust, Hexenwahn, Idee Europa und demnächst »Die Hugenotten«, so schnell geht das.

Außer brachen Flächen bei Verdun, einigen Maschinengewehren, Plakaten, Prothesen, Hölzern aus den Schützengräben und seltenen Filmaufnahmen, in denen Berlin beinahe so aussieht wie heute, kann man hier nicht allzu viel präsentieren.

Einen Zugang über die Menschen zum schrecklichen Ereignis kann man hier nicht finden: Es fehlen die entscheidenden politischen Erläuterungen der Vor- und Nachgeschichte ebenso wie individuelle Schicksale in größerem Ausmaß – auch der Widerstand läuft unter Fußnoten: Kein Liebknecht, keine Luxemburg. Keine meuternden Matrosen. Mühselig wurden die poppigen Räume in die Kapitel »Prolog«, »Erfahrung«, »Neuordnung«, »Erinnerung« eingeteilt. Das hat man sofort wieder vergessen. Wen interessiert schon, ob die Skulptur »Der Flieger« von Rudolf Belling zum ersten, dritten oder vierten Bereich gehört. Wie so oft in Deutschland winkt uns auch hier am Ausgang Adolf Hitler zu, in diesem Fall von einem düsteren Bildschirm herab. Den kennen wir. Prothesen sollen dem Besucher erzählen, wie es um die Wirklichkeit des Krieges bestellt war, der Gaskrieg ist weniger präsent.

Wo die Welt nichts anbietet, da helfen Kunst und Devotionalien, da liegt die eingangs zitierte Märkische Oderzeitung schon richtig, wenn sie ihren Lesern zum Besuch rät. Eine schöne Verbindung von Kunst und Devotionalien stellt ein Exponat her: der Stahlhelm des Schriftstellers Ernst Jünger.

Die Historiker sprächen heute von einer Kultur des Krieges, bemerkte Gerd Krumeich vom Wissenschaftlichen Beirat anlässlich der Eröffnung, und diese habe man umreißen wollen. Sollten die deutschen Historiker tatsächlich angesichts eines organisierten Massensterbens von Kultur reden, bitte schön, können wir ihnen dann noch helfen?

Ich kann und will es nicht und fange deshalb noch mal bei Null an: Im engeren Sinne würde eine Kulturgeschichtsschreibung eine Darstellung der populären Kultur während eines Krieges liefern – Ramsch, Murks, Wegwerfzeugs. Und während im postmodernen Konflikt Bildangebote zur Kriegsführung gehören, ist vom Ersten Weltkrieg nun nicht allzu viel übrig. Die Überlebenden sind heute fast alle verstorben, der meiste Kram vermodert. Und wenn es nicht so wäre: Wie sollte das Massenmorden von 1914 bis 1918 in ein paar Ausstellungsräume passen?

So wirkt der Plan, eine Ausstellung des nicht Ausstellbaren zu organisieren, wie das Gebaren der Schildbürger, die ihre Kirchglocke vor den anrückenden Feinden im See versenken und zur Ortsbestimmung eine Kerbe ins Boot ritzen.

Die knapp 700 Exponate sollen helfen, so Kurator Rainer Rother, »die Historie neu zu entdecken, Gründe zu finden, die verstehen lassen, warum sich zivilisierte Menschen und Nationen bekämpft, ja totgeschlagen haben«. Das wird hier nicht geleistet. Aber: Man kann sich ansehen, wie das Totschlagen sich auf die Alltagskultur auswirkt.

So gesehen, bleiben ein paar Ausstellungsstücke im Gedächtnis.

Gleich am Anfang steht eine Panzerplatte von Krupp, sieben Zentimeter dick, die von einem Projektil, vermutlich aus der gleichen Produktionsstätte, durchschlagen wurde. Das 7,5-Zentimeter-Geschoss wurde mit einer Geschwindigkeit von 390,3 Metern pro Sekunde abgeschossen. Wer ist stärker? Die Schweißeisenplatte von Krupp? Oder die Kanonenkugel von Krupp?

Krieg soll man nur mit klar definiertem Ziel führen, schrieb Carl von Clausewitz, sonst wird’s nichts. Sonst laufen einem die anderen Mittel davon. Der Krieg unter populären Vorzeichen in der Kultur: Welches Exponat könnte schon besser das Interesse der Industrie am Waffengang zeigen? »Wir hätten gern einen Panzer ausgestellt«, bedauert die Ausstellungsleitung, »aber die gibt es in Deutschland nicht.«

Anderes Beispiel: Ein Samtkissen mit Bajonettbroschen. Die Soldaten im Kampf hatten Bajonette, abends konnte man sie als Miniatur am Revers tragen. In der populären Kultur des Ersten Weltkrieges trug man Mordwaffen en miniature als Schmuck; auf Partys und Empfängen gewann man dem Töten eine fröhliche Komponente ab. Wie kann es sein, dass zivilisierte Menschen sich auf einmal in rasende Mörder verwandeln, fragen die Aussteller, ohne die Frage zu klären. Hier bekommt man die Antwort: Es galt als schick.

In der Verniedlichung und Devotionalisierung liegt die Wahrheit. Ein Wahrzeichen des Krieges ist die lieblich rot leuchtende Mohnblume. Sie ist das einzige Gewächs, dass sich auf bombenzerpflügten, chemisch verseuchten Ackerböden schnell niederlässt und ausbreitet. Aus dem Terror in die Idylle. Es gibt die Bilder der technischen Moderne und daneben Atavismen, die geradezu vorsintflutlich anmuten: Morgensterne für den Nahkampf, Brustharnische, wie für Ritter gemacht, Kinderspielzeug oder Puppen vom aufgehängten Franz Ferdinand.

Vor Hungersnöten muss man jedoch kapitulieren in der Museumsschlacht: Den Bauchgrimm kriegt man nur mit Tee-Ersatz, Versuchsbrot und deutschem Humor weg: »Kollege Brot ist gestorben«, ist auf einem Plakat zu lesen, das als fiktive Todesanzeige daherkommt. »Was? Uns will England aushungern lassen? Ach nee«, steht unter den zwei dicken Berliner Schupos, die für eine Postkarte zur englischen Seeblockade posieren. Steckrübenwinter 1916/17. Zynismus gegen sich und andere – den geben die Schultüte mit militärischen Motiven wider, das Spielzeug-Feldlazarett, die Soldatenpuppe, das Schützengrabenfußballspiel, das Schlachtschiff, die Pickelhaube, der Feldpostwagen als Christbaumschmuck, allesamt im Original. Und es reizt in der Tat zum Lachen, wenn der 42-Zentimeter-Mörser der deutschen Artillerie »Dicke Bertha« heißt, benannt nach der Tochter des Herstellers Alfred Krupp.

Eine umfassend militarisierte Zone muss diese Gesellschaft gewesen sein. Krieg war Pop, ganz wörtlich: Auf dem Cover eines Liedheftes von Philipp Gretscher mit dem Titel »Ich habe dem König von Preußen geschworen«, erfährt man: »Dieses Heft enthält eine neue Melodie zu ›Heil dir im Siegerkranz‹.« So würde man es auch heute auf eine CD drucken. Nicht nur das Kriegsgerät war modern, auch das Partysetting.

Zwar gelingt es der Ausstellung insgesamt nicht zu zeigen, wie der Erste Weltkrieg auf den Zweiten verweist, allerdings kann man diesen Zusammenhang anhand der gezeigten Devotionalien erkennen. Je nichtiger der Gegenstand, desto größer die Wirkung. Wie ein Kritiker der Ausstellung bemerkte: »Doch zeigt sich hier auch ein Problem: dass die Liebe zum Ausstellungsstück in die Neigung zum Possierlichen abgleiten kann.« Das Possierliche – aber genau dies ist die Verarbeitung von gewalttätigen Gemütszuständen im Kollektiv, ist die andere Seite des Waffengangs, Krieg für die Daheimgebliebenen. CD-Roms fürs beginnende 20. Jahrhundert.

Der Erste Weltkrieg aus dem Gedächtnis gestrichen? Man sollte nicht vergessen, wie Täter-Erinnerung funktioniert. In einem Bericht über die Internationale Luftausstellung in Berlin, die vorletztes Wochenende ebenfalls in Berlin stattfand und mit vollen Auftragsbüchern für die Rüstungsindustrie endete, notiert der Autor eine Begegnung an einem Ausstellungsstand der Bundeswehr: »Beim Aufklärungsgeschwader ›Immelmann‹, vertreten mit einem Tornado-Jet, erzählt ein Oberleutnant etwas über den Namensgeber: Ein toller Hecht soll er gewesen sein, der Immelmann. Habe im Ersten Weltkrieg 15 Gegner abgeschossen, bekam das EK I und EK II, schließlich noch den Orden ›Pour le Merite‹.« Leider sei er dann doch abgeschossen worden.

So schnell verblasst deutsche Erinnerung wenigstens bei einigen Traditionsbünden nicht. Wie gesagt: Am Ausgang steht immer Adolf Hitler. Obszönität, Erinnern, Foto machen – vielleicht wäre das eine bessere Einteilung der Ausstellung gewesen. Die Verpossierlichung ist nun mal die Realität. Der Vollständigkeit halber zum Thema Gedenken der tollen Hechte: Im Zweiten Weltkrieg flog Flieger-Ass Rudel in einem »Luftwaffengeschwader Immelmann«. Der Name klingt auch heute noch: Die Bundeswehr verfügt über ein »Aufklärungsgeschwader 51 Immelmann«.

Gestorben wird immer, digitale Kameras hin oder her, Bilder entstehen so oder so. Krieg und Bewusstsein haben sich jedenfalls überhaupt nicht verändert und werden sich nie ändern. Um dies devotional Possierliche im Ideologischen zu begreifen, gibt es in der Weltkriegsausstellung eine Begreif-Zone, Kinder und Männer finden das gut, mit einem echten WK1-Schießgewehr. Sag noch einer, diese Ausstellung gäbe nichts her, Kritik hat es wie Mörsergranaten gehagelt: Man muss nur darauf achten, worin ihr »Reiz« besteht und wie sie, die Deutschen mit ihren Ausstellungen, eingebettet ist.

Jungle World
Jungle World Nummer 23 vom 26.05.2004

kt / hagalil.com / 2004-05-26

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved