Die Jarrestadt hat
am Samstag trotz Ausnahmezustands vielfältigen Widerstand gegen den
Neonazi-Aufmarsch geleistet. Nur langsam bahnten Polizei-Spezialeinheiten aus
Bayern und vom Bundesgrenzschutz dem braunen Tross aus 380 "Freien
Nationalisten" den Weg zur Wehrmachtsausstellung auf Kampnagel - in
gespenstischer Atmosphäre. Aus vielen Häusern dröhnte Musik, Menschen standen in
den geöffneten Fenstern, bliesen in Trillerpfeifen oder riefen "Nazis raus!" An
Fassaden hingen Transparente: "Opa kann nicht kommen - Dank der Roten Armee";
eine Anspielung auf den Nazi-Slogan "Opa war kein Verbrecher". Selbst die
SS-Fahnenweihe (siehe Kasten) ging in lautstarken Protesten unter.
Daran hatte auch
das polizeiliche Konzept nichts ändern können. In der Morgendämmerung riegelten
4.000 Polizisten mit drei Dutzend Wasserwerfern und Panzerwagen das Viertel um
das Kampnagel-Gelände hermetisch ab. Die Gegendemonstration von 2.000
Antifaschisten endete an der Sperre Weidestraße.
Die polizeiliche
Zusage, potenzielle BesucherInnen der Ausstellung passieren zu lassen, war schon
morgens gebrochen worden. Der erste Shuttle-Bus ab U-Bahn-Station Borgweg wurde
geräumt, ein weiterer Bus durfte nur halb voll fahren, dann wurden Personen auf
den Fußweg verwiesen. Doch auch der endete vielfach an den Sperren. Selbst
GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch und Gewerkschaftsbosse blieben nach
Outfit-Kontrollen als potenzielle "Störer" hängen. Festnahmen gab es jedoch
nicht, der Tag verlief friedlich.
Auf Kampnagel
erhitzten sich die Gemüter: "Die Innenbehörde ist nicht in der Lage, das Recht
auf freien Zugang zu diesem kulturpolitischen Ereignis zu gewährleisten",
schimpfte vor 100 Gästen der Schauspieler Rolf Becker, der am vorletzten
Ausstellungstag eine literarische Führung machen wollte. "Wenn das Schule macht,
werden Neonazis jede ihnen missfallende Kulturveranstaltung so verhindern."
Anwältin Gabriele Heinecke versuchte derweil, den freien Zugang durch eine
einstweilige Anordnung gegen die Polizei durchzusetzen: "Den Missbrauch von
Grundrechten darf man sich nicht gefallen lassen."
Für dieses Szenario
hatte in der Nacht das Bundesverfassungsgericht den Weg freigemacht. Es hatte
die Klage der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano abgelehnt, den Aufmarsch
wegen Volksverhetzung zu verbieten (taz berichtete). Die Richter kamen zur
Auffassung, das Motto "Reemtsma lügt - wir haben gesiegt" sei nicht explizit als
Leugnung des Holocaust zu interpretieren. Und selbst wenn, habe Bejarano nicht
das Recht, dem Staat vorzuschreiben, wie er darauf zu reagieren habe. Die
Polizei hätte Möglichkeiten, vor Ort zu handeln.
Was sie selbst dann nicht tat, als Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger zum Auftakt
beklagte, dass "90 Prozent der Ausstellung gelogen" seien und Reemtsma
"aufgehängt" gehöre. Die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust verharmloste er
und leugnete die deutsche Kriegsschuld gleich noch mit: "Stalin wollte
Deutschland angreifen."
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